Mission Eureka
Wassermelone. Schon
jetzt, am zweiten Tag nach ihrer Ankunft, wies ihre Haut einen zarten
Braunton auf. Bereits gestern abend, beim Ausziehen, hatten sich die
Stellen, an der ihr Bikini die Haut verdeckte, deutlich gegen die
Bräune abgezeichnet. Sie wurde nie rot, bekam nie einen Sonnenbrand.
Ihre Haut war wie geschaffen für die Sonne. Es war immer einer ihrer
gemeinsamen Witze gewesen, wenn sie mit Thomas in Urlaub gefahren war.
»Du wirst schon braun, wenn du dir bloà die Urlaubsprospekte
anschaust«, hatte er immer gefrotzelt.
Sie
schaute in die Sonne und schloà für einen Moment die Augen. Es war
Mittwoch früh. Am Montag war sie noch in München gewesen. Sie hatte,
aus einer plötzlichen Laune heraus, den Rat ihres jungen Anwalts
beherzigt und beschlossen, sich einen Termin bei ihrem Friseur geben zu
lassen. Ihr Notizbuch war wieder zu ihrer Freundin geworden, als sie an
jenem Morgen ihre Anrufe gemacht hatte. Als erstes war der Termin beim
Friseur dran. Als sie schlieÃlich aufgehört hatte zu telefonieren, war
ihr Notizbuch mit einer stattlichen Liste von Terminen angefüllt: ein
Besuch in der Sauna, danach ein Termin im Schönheitssalon, der Besuch
beim Friseur, dann Maniküre, danach eine leichte Mahlzeit im
Restaurant, und zum krönenden Abschluà ein ausgiebiger Einkaufsbummel.
Der Abstecher ins Reisebüro war eine spontane Idee gewesen. Sie hatte
ein Poster im Schaufenster gesehen, das ihr gefallen hatte, und war
kurzerhand hineingegangen. Als sie eine Viertelstunde später wieder
herausgekommen war, hatte sie ein Flugticket nach Nizza und ein Bündel
Reiseschecks in der Handtasche gehabt.
Als sie an einer
Baustelle vorbeikam, hörte sie die Pfiffe der Bauarbeiter und nahm an,
daà sie irgendeinem jungen, hübschen Mädchen galten, das hinter ihr
ging. Aber als sie sich umdrehte, sah sie, daà auÃer ihr selbst niemand
in der Nähe war. Sie errötete. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihr
das letzte Mal jemand hinterhergepfiffen hatte; wahrscheinlich, als de
Gaulle noch gelebt hatte.
Sie hatte Claudia eine
Nachricht hinterlassen, hatte eine leichte Reisetasche gepackt und ein
Taxi gerufen. Wie einfach das im Grunde doch war, hatte sie gedacht:
die erste impulsive Handlung in ihrem Leben.
Ihre
Silhouette war schlank und mädchenhaft. Von der Figur her hätte sie
glatt für achtzehn durchgehen können. Und sie fühlte sich wie achtzehn.
Sie fühlte sich gelöst und beschwingt. Der Strand war noch einen halben
Kilometer entfernt. Sie fühlte sich, als hätte sie die Strecke im
Sprinttempo zurücklegen und über das Meer bis Mallorca schwimmen
können. Sie fühlte sich fit und voller Schwung und Lebenskraft. Es war der erste Tag vom Rest ihres Lebens. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen, und sie wischte sie mit einer
trotzigen Handbewegung weg. Im selben Moment hörte sie von hinten ein
näher kommendes Motorengeräusch und trat an den StraÃenrand. Es war ein
offenes VW-Cabrio mit zwei jungen Männern und einer jungen Frau auf dem
Rücksitz. Alle drei winkten und johlten ihr fröhlich zu, als der Wagen
mit quietschenden Reifen an ihr vorbeisauste. Plötzlich hielt er an und
kam wild schlingernd im Rückwärtsgang zu ihr zurückgefahren.
»Vous êtes française?« fragte die junge Frau.
Marianne schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Deutsche.«
»Wir auch, das trifft sich ja gut«, rief das Mädchen erfreut. »Können wir Sie mitnehmen?«
»Gern.«
Der
junge Mann auf dem Beifahrersitz stieg aus, hielt ihr die Tür auf und
setzte sich nach hinten zu dem Mädchen. Marianne stieg ein. Der Fahrer
hieà Stephan. Er war groÃ, von schlanker, athletischer Gestalt,
vierundzwanzig Jahre alt. Er hatte kurzes schwarzes Haar und sah sehr
gut aus. Das Pärchen auf dem Rücksitz stellte sich als Gaby und Willi
vor.
Ein paar Minuten später erreichten sie den Strand.
Marianne stieg aus, bedankte sich und schlenderte langsam zum Wasser.
Der Sand war heiÃ. Sie watete bis zu den Knien ins Wasser und schaute
hinaus aufs Meer. Plötzlich fühlte sie sich schrecklich einsam, und ihr
kamen wieder die Tränen, aber sie unterdrückte sie tapfer.
Der erste Tag vom Rest deines Lebens. Sie nickte grimmig. Also genieÃe ihn, sagte sie sich. Mach das Beste draus.
Sie
suchte sich einen ruhigen Platz, breitete ihr Badetuch aus und kramte
Sonnencreme
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