Mission Munroe 03 - Die Geisel
Ich dachte, das hättest du längst hinter dir.«
»Ich hab es mir verdient«, fuhr Neeva fort. »Ich war immer loyal. Ich habe keine Fragen gestellt und den Mund gehalten, und ich habe alles gemacht, was du von mir verlangt hast. Ich habe dir nie irgendwelche Schwierigkeiten bereitet. Ich hab es mir verdient.«
»Was hast du dir verdient? Was glaubst du eigentlich, was ich jetzt vorhabe?«
»Du willst den Anführer umbringen«, erwiderte Neeva. »Das weiß ich genau.«
»Und wenn es so wäre?«
»Ich will dabei sein. Ich will sehen, wie er abkratzt.«
»Nein.«
»Das kannst du mir nicht wegnehmen.«
»Das kann ich sehr wohl, und das werde ich auch.«
»Ich laufe dir nach.«
»Du gehst mir auf die Nerven.«
»Hör doch mal«, sagte Neeva. »Ich habe jahrelang darauf gewartet, dass irgendeine offizielle Stelle, meine Therapeutin oder sonst irgendjemand mir erklärt, was damals eigentlich mit mir passiert ist. Ich habe die Schnauze voll davon, immer die Hilflose zu sein.« Sie hielt inne und holte tief Luft. »Und ich habe die Schnauze voll davon, Angst zu haben. Also entweder lässt du mich mitkommen, als deine Partnerin, und ich helfe dir, so gut ich kann, so wie bisher auch, oder du bekämpfst mich und verschwendest damit kostbare Zeit und Energie.«
»Ich könnte dich auch einfach umbringen. Dann wäre das erledigt, und ich hätte ihm ein bisschen Aufwand gespart.«
Neeva verdrehte die Augen. »Von mir aus.«
»Was zum Teufel hast du ständig mit diesem Rachebedürfnis? Wieso versprichst du dir so viel davon, ihn tot zu sehen? Ich mache ein Foto von ihm. Das kannst du dann an deine Schlafzimmerdecke pinnen und vor dem Einschlafen anstarren.«
»Du kapierst es einfach nicht«, erwiderte Neeva. »Gerade du, mit deinen Narben und deinen Toten, du müsstest es eigentlich besser wissen als alle anderen. Aber stattdessen spielst du mir hier die doofe Ziege vor. Du weißt doch ganz genau, was ich will und warum ich es will.«
»Neeva, das ist sinnlos. Ich gehe da rein, im vollen Bewusstsein, dass ich wahrscheinlich nicht lebend wieder rauskommen werde. Es kann sogar sein, dass ich den Kerl nicht einmal erwische, aber ich muss es tun. Ich habe keine andere Wahl. Du hingegen hast eine Wahl. Also wirf dein Leben nicht einfach weg.«
»Ich habe mir noch nie etwas so sehr gewünscht. Ich will endlich einmal jemandem, der mir etwas angetan hat, auch etwas antun.«
»Gut möglich, dass sie mich umbringen und dich gefangen nehmen. Hast du mal daran gedacht? Dass du nicht nur deine Rache nicht bekommst, sondern auch die Konsequenzen erleiden musst, als Preis für deine Dämlichkeit?«
Neeva zuckte mit den Schultern.
»Du bist wirklich total verkorkst«, sagte Munroe.
»Das musst du gerade sagen.«
Munroe richtete sich auf. »Du bist ein Unsicherheitsfaktor, Neeva. Wenn ich dich nicht immer noch an der Backe hätte, wäre er schon längst tot.«
Neeva richtete sich ebenfalls auf und stellte sich auf Zehenspitzen. »Und wenn du mich jetzt nicht immer noch an der Backe hättest, dann wären die Menschen, die du liebst, auch schon tot.«
Munroe seufzte. Trat einen Schritt zurück, aus dem Torbogen heraus und wieder auf den Bürgersteig. »Ich habe einfach nicht die Kraft, mich mit dir zu streiten«, sagte sie, zog das Handy aus ihrer Jackentasche, drehte sich um und ging los. »Aber wenn du nicht von selbst so schlau bist, dich zu schützen, dann bitte sehr. Ich werde jedenfalls nicht mein Leben aufs Spiel setzen, nur um dich zu überreden, dich nicht wie eine Idiotin aufzuführen.«
Munroe kannte zwar die Adresse der Goldschmiedewerkstatt nicht, aber durch die Fahrt vor einer Woche hatte sie ein Gefühl für die Umgebung bekommen. Sie wusste ungefähr, wonach sie suchen musste, und da sie sich ein Taxi genommen hatte und nicht selber fahren musste, war es nicht besonders schwierig, den Weg zum Puppenmacher zurückzuverfolgen.
Es war immer noch dunkel, als der Fahrer sie eine Querstraße von ihrem Ziel entfernt absetzte. Als Munroe dann die beleuchteten, stillen Bürgersteige entlangging, die eine malerische Kleinstadtatmosphäre verströmten und alles andere als bedrohlich wirkten, begann der schwarze Himmel, sich langsam in ein dunkles Violett zu verfärben.
Neeva gab keinen Laut von sich und hielt sich neben ihr. Keine Fragen, kein Gespräch, so gingen sie weiter, bis Munroe vor den beiden Juweliergeschäften neben dem Torbogen angekommen war. Hier hatte Lumani gestanden und in ihren Rückspiegel
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