Mission Munroe 03 - Die Geisel
mit gefälschter Vergangenheit. Was sollte er jetzt tun? Er winkte die Mädchen in den Bürotrakt, bedeutete ihnen zu warten und wandte sich dem ersten Gefallenen zu, packte den toten Mann am Kragen und schleifte ihn in die mittlere Hütte.
Der Lagerhallen-Mann war noch am Leben, allerdings war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde. Sein Atem ging rasselnd. Bradford stellte sich über ihn, die Füße links und rechts seines Körpers. Der Mann zitterte. Das hatte Bradford schon bei vielen Soldaten kurz vor dem Ende erlebt. Schmerz. Schock. Oder sonst was. Er wartete so lange, bis der Mann ihn eindeutig ansah, dann verzog er den Mund zu einem breiten Grinsen. Packte ihn am Arm und schleifte ihn, eine breite Blutspur hinter sich herziehend, ebenfalls in die Hütte.
Die Mädchen hatten sich wie eine kleine Herde verängstigter Schafe im Flur zusammengedrängt und starrten Bradford mit großen Augen an. Er hätte gern Mitleid mit ihnen empfunden, doch die Taubheit der Schlacht, die Logik des Krieges, sein Missmut angesichts der neuesten Entwicklungen machten es unmöglich, Mitleid zu empfinden. Er war jetzt schon sechs Minuten hier. Viel zu lange. Er ging an den Mädchen vorbei zum Hauptausgang. Ließ die Weste, die MP und das Trommelmagazin in die Sporttasche fallen, schnappte sich den Werkzeugkasten und stapfte durch die zersplitterte Glastür nach draußen. Die Mädchen kamen hinterher.
Er hatte vorgehabt, Alexis im Laderaum des Lieferwagens zu befördern, und da er nicht gewusst hatte, in welchem Zustand sie sich befand, hatte er eine Matratze hineingelegt. Dort saßen jetzt die Mädchen. Bradford schloss die Tür. Fuhr los, und als er weit, weit gefahren war, ohne dass ihm jemand gefolgt war, hielt er am Straßenrand an.
Sein Telefon klingelte.
Adams. In Sicherheit. Auf dem Weg nach Dallas.
Doch bevor er Adams folgen konnte, musste er den Hilflosen helfen. Er konnte sie ja schlecht mit ein paar guten Wünschen einfach auf die Straße setzen. Er huschte nach hinten in den Laderaum. Es dauerte eine Weile, bis er mit Hilfe zahlreicher Landkartenausschnitte auf dem Display seines Smartphones begriffen hatte, dass sie aus Moldawien stammten, einer ehemaligen Teilrepublik der früheren Sowjetunion.
Nach einer weiteren Internet-Recherche hatte er immerhin ein russisches Konsulat hier in der Nähe ausfindig gemacht. Er würde die Mädchen dort abliefern und konnte nur hoffen, dass das in etwa so war, als würde er einen verirrten Amerikaner in Thailand bei der kanadischen Botschaft abliefern. In jedem Fall standen die Chancen gut, dass dort jemand ihre Sprache sprach, dass sie ihre Geschichte erzählen konnten und dass sie Hilfe bekamen. Es war nicht viel, aber mehr hatte er ihnen nicht zu bieten. Er startete den Motor und fuhr los.
Zumindest im Augenblick hatte er gewonnen.
Die Polizei würde kommen und die Leichen sowie zahlreiche Indizien finden. Sie würden nach Antworten suchen und hoffentlich dieselben Spuren entdecken wie die Capstone-Kommandozentrale. Und das, was die Strafverfolgungsbehörden nicht aufdecken konnten, das würde er im Lauf der Zeit selbst erledigen. Aber darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Er hatte für Walker den Müll entsorgt. Er hatte Alexis gefunden und in Sicherheit gebracht. Jetzt konnte er sich voll und ganz auf Michael konzentrieren.
Kapitel 41
Mailand, Italien
Die Hände in die Jackentaschen gesteckt, kam Munroe aus dem Bistro und ließ den Blick durch die unter ihr befindliche Haupthalle des Hauptbahnhofs von Mailand gleiten, auf der Suche nach einer Bedrohung, die sie womöglich nicht einmal dann erkannt hätte, wenn sie sie direkt vor Augen gehabt hätte.
Sie hatte Neeva an einem Tisch im hinteren Teil des Bistros mit dem Rücken zur Tür zurückgelassen. Dadurch war sie für Passanten unmöglich zu erkennen. Außerdem konnte sie dann nicht durch Blickkontakte und Herumgezappel ihre eigene Nervosität preisgeben. Zweitausend Euro, das Handy und ein Stapel Anweisungen waren ihre Versicherung für den unwahrscheinlichen Fall, dass Munroe nicht wieder zurückkommen sollte.
Ein abschließender Blick über die Menge, und Munroe hastete die Treppe hinunter und durch das Gewimmel der Bahnhofshalle zum Fahrkartenschalter. Sie bemühte sich, so wenig wie möglich zu hinken, um nicht aufzufallen.
Laut Lumanis Angaben – vorausgesetzt, er hatte die Wahrheit gesagt – waren gestern Abend zwei seiner Leute in der Stadt eingetroffen. Sie würden mit
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