Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
erst schaute sie ihn an. »Aber ich finde, du musst zumindest einen Teil erfahren. Es ist nicht viel, aber mehr kann ich dir einfach nicht sagen.«
»Ich nehme, was ich kriegen kann.«
»Ich weiß jetzt, wo das Leck sitzt«, sagte sie. »Das ist eine tiefe, sehr persönliche Verletzung, und ich muss die Sache selber in die Hand nehmen, auf meine Art.« Sie hielt inne. Seufzte. »In zwei Tagen müssen wir dem Aufsichtsrat in Houston unsere Ergebnisse vortragen.« Sie sah ihn an. »Das wird deine Aufgabe sein, Miles. Ich fliege nicht mit dir zurück, sondern komme erst wieder in die Staaten, wenn ich alles erledigt habe. In Paris müssen wir Abschied nehmen.«
Bradford klopfte mit dem Stiefelabsatz auf den Betonboden. Immer wiederkehrendes, dumpfes Klacken erfüllte die Stille, dann ließ er sich an der Wand entlang in die Hocke gleiten und starrte ins Nichts. »Ich bin nicht so dämlich zu versuchen, dich aufzuhalten«, sagte er. »Auch wenn ich das Gefühl habe, als müsste ich.« Er blickte auf. »Ich habe gerade zwei absolut höllische Tage mit dir durchgemacht, Michael. Wenn ich sage, dass ich mir Sorgen mache, dann ist das die Untertreibung des Jahres. Du willst dich doch nicht ohne Fallschirm von den Angel Falls stürzen, oder?«
Munroe schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Mir geht es gut, Miles. Ehrlich. In ein paar Wochen bin ich wieder in Dallas, und dann schaue ich bei dir vorbei, versprochen. Das bin ich dir schuldig.« Sie hielt den Blickkontakt lange genug aufrecht, um glaubwürdig zu wirken, dann glitt sie ebenfalls an der Wand entlang auf den Boden und hockte sich neben ihn.
Sie hatte ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt, hatte den Teil ausgespart, wo sie ihm nach Houston folgen und einen kaltblütigen Mord begehen würde.
Kapitel 23
Paris, Frankreich
Munroe stapfte durch die Straßen, den Kragen hochgekrempelt, die Hände tief in den Taschen des knöchellangen Mantels versenkt, den sie einem abreisenden Passagier am Flughafen abgekauft hatte. Selbst bei Sonnenschein lagen ungefähr dreißig Grad Celsius zwischen der äquatorialen Sommernacht und dem milden Pariser Wintermorgen. Es wäre wirklich schön gewesen, jetzt in die Wärme und Behaglichkeit ihres Zimmers im Park Hyatt zurückkehren zu können.
Entschlossen steuerte sie die Place Pigalle an, das Zentrum des Rotlichtviertels der Stadt, das berühmt war für das Moulin Rouge, seine Sex-Shops und Peepshows und auch für die Seitenstraßen und kleinen Gässchen, in denen es noch so viel mehr zu erleben gab. Sie wurde ganz allein von ihrem eigenen Ich getrieben – keine Stimmen, keine Ängste, und auch die Dämonen waren verstummt. Die Rachgier hielt all ihre Sinne besetzt. Sie blieb kurz stehen, lehnte sich an eine Hauswand, das eine Bein angewinkelt, und betrachtete die Passanten.
Die Zielstrebigkeit, die sie bei den Planungen für diesen Mord an den Tag legte, hätte sie eigentlich irritieren müssen, aber sie verspürte nicht einmal den Hauch eines schlechten Gewissens.
Das war der Abgrund, diese unergründliche Finsternis, gegen die sie sich so lange mit jedem einzelnen, angsterfüllten Atemzug gesträubt hatte. Dabei kam es ihr überhaupt nicht dunkel vor, im Gegenteil. Hier herrschten Licht und Freiheit. Totale Kontrolle und Macht und Frieden. Und eingehüllt in diese Harmonie die Gewissheit, dass sie jetzt endlich zum monströsen Geschöpf des Pieter Willem geworden war. Sein höhnisches Lachen drang aus dem Totenreich zu ihr herauf, eine unangenehme Nebenwirkung, nichts weiter. Nach all diesen Jahren hatte er also doch noch gewonnen, aber jetzt machte es ihr nichts mehr aus.
Munroe steckte die Hände tiefer in die Taschen und schlenderte den Bürgersteig entlang. Ihr Blick folgte wechselnden Gesichtern in der Menge, sie setzte einen Fuß vor den anderen, während ihr Geist unentwegt überlegte und plante. Sie überquerte die Straße und gelangte in die Rue Saint-Denis. Dort, in einem Hauseingang an die Mauer gelehnt und allem Anschein nach ohne die prüfenden Blicke potenzieller Kunden wahrzunehmen, entdeckte sie eine Gestalt und ein Gesicht, die genau dem entsprachen, was sie suchte. Er war vielleicht siebzehn, achtzehn Jahre alt – Stricher, drogensüchtig, Straßenkind. Ein perfektes Alibi.
Sie ging quer über die Straße und begegnete seinem Blick. Der Junge richtete sich bei ihrem Anblick auf, er musterte sie und versuchte, interessiert zu wirken. Sie war jetzt so dicht bei ihm, dass sie seinen Geruch wahrnehmen
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