Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
und mit Hilfe ihrer anderen Sinne bestätigen konnte, was sie bereits gesehen hatte. Die richtige Größe, die richtige Figur, ein wohlgeformtes Gesicht. Die Haare mussten geschnitten und gefärbt werden, aber ansonsten würde es gehen. »Ich will dich für eine ganze Woche haben«, sagte sie. »Mit wem muss ich da sprechen?«
Wenn sie den Jungen von der Straße holen wollte, musste sie mit irgendwelchen Schlägertypen verhandeln, das war klar. Munroe folgte ihm durch eine enge Gasse und über die schmale Treppe einer Mietskaserne, die rechte Hand fest um die Waffe geschlossen, die sie aus Kamerun mitgebracht hatte. In einem heruntergekommenen Zimmer waren ein paar spannungsgeladene Augenblicke zu überstehen, Geldscheine wechselten den Besitzer, die Habgier schien einmal fast über die Vernunft zu siegen, und ein Kampf schien unausweichlich, aber letztendlich trat sie wieder hinaus ans Tageslicht, ohne dass sie zu Drohungen oder Gewalttätigkeiten hätte greifen müssen. Der Junge schlurfte wortkarg hinter ihr her.
Sie ging bis zum Ende der Straße, dann drehte sie sich um. Sie packte ihn am Handgelenk und zog ihn zu sich heran, schob seine Jackenärmel nach oben, suchte nach Einstichwunden und blauen Flecken, entdeckte aber keine. Sie legte ihm den Daumen an das Kinn und drehte seinen Kopf nach links und rechts, begutachtete seine Haut. »Wie heißt deine bevorzugte Droge?«, fragte sie.
»Ich nehm keine Drogen.«
»Ich hab, verdammt noch mal, keine Zeit zu verlieren«, sagte sie. »Heroin ist es jedenfalls nicht, Meth auch nicht. Was dann? Crack? Koks? Tabletten?«
Er nuschelte bestätigend.
»Hast du einen Dealer?«
Er nickte, und sie warf ihm ein Telefon zu. »Ruf ihn an.«
Der Junge hieß Alain. Seinen Nachnamen hatte sie nicht verstanden, und er interessierte sie auch nicht. Alain war ein lebender junger Mann, den niemand vermissen würde. Mehr brauchte sie nicht, und sie würde lange vor Ablauf dieser einen Woche wieder zurück sein und alles Notwendige regeln.
Das Geld, das sie den Zuhältern des Jungen gegeben hatte, war zu seiner Beruhigung gedacht. Sie wollte, dass er keine Angst hatte, dass er sich entspannte und bereitwillig ihren Anweisungen folgte. Die waren nicht weiter kompliziert: Bleib im Park Hyatt, und gib möglichst viel Geld aus – Zimmerservice, Internet-Shopping, alles, was sein Herz begehrte, solange er eine Woche lang keine Besucher empfing und keinen Fuß vor die Tür setzte. Solange er sich daran hielt, würde ihm das Hotelpersonal, das sehr viel ausführlichere und eindeutigere Anweisungen bekommen hatte als er, tagtäglich seine Drogenration aufs Zimmer bringen, im Glauben, es handele sich um geschäftliche Unterlagen.
Als Munroe das Hotel verließ, schlief Alain tief und fest. Sie hatte dafür gesorgt, dass das auch während der kommenden Stunden so blieb, solange sie noch die letzten nachweisbaren Spuren ihrer Existenz in der Stadt hinterließ. Auf der Bank deponierte sie ihren Reisepass, den Personalausweis und die Kreditkarten in einem Schließfach. Mit einem gefälschten spanischen Reisepass auf den Namen Miguel Díaz sowie zwanzigtausend Dollar in der Tasche trat sie wieder hinaus auf die Straße.
Sie kaufte sich einen Laptop, brannte die Videoaufnahme von Emily auf mehrere DVDs und schickte zwei davon per Overnight-Kurier zur Aufbewahrung an Logan. Anschließend besorgte sie sich in einem Elektronik-Fachgeschäft ein paar etwas ausgefallenere Dinge und machte sich, nachdem sie per Telefon erfahren hatte, wo Kate Breeden und Richard Burbank sich aufhielten, auf den Weg zum Flughafen, wo ein Charterflugzeug auf sie wartete, um sie nach London zu bringen. Von dort ging es dann weiter nach Kanada. Sie hatte vor, zu Fuß in die Vereinigten Staaten einzureisen, und anschließend mit dem Auto nach Boston zu fahren, um dort einen zweiten Charterflug nach Houston zu nehmen.
Während der Reise vertiefte Munroe sich in verschiedene Dokumente, die sie dem riesigen Reservoir des Internet entnommen hatte. Alles, was sie über den Burbank-Auftrag wusste, war über Kates Schreibtisch gelaufen, und da jede Information nur so gut war wie ihre Quelle, misstraute sie nun jedem Wort. Munroe las und machte sich Notizen, und nur die Zwischenlandungen und die Umsteigeprozeduren störten sie in ihrer Konzentration. Die Zeit am Boden ließ sich nutzen, um Spuren zu verfolgen und zusätzliche Dateien herunterzuladen, und als die Räder des letzten Fluges in Houston auf der Asphaltpiste
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