Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
klimatisierten Welt des organisierten Chaos. Das Einkaufszentrum hatte drei Ebenen, auf die man mit Rolltreppen und Aufzügen gelangte, und überall drängten sich Leute aller Altersschichten. Sicherheitsleute patrouillierten auf Segway-Elektrorollern durch das Center und flitzten wie Haie, die einen Fischschwarm umkreisen, um die Kunden herum.
Verkäufer an provisorischen Buden priesen enthusiastisch alles Mögliche an, von Handys über Luftballons bis hin zu Schokolade und Kosmetikartikeln. Ein großer Flugsimulator aus Plastik stand brummend da und schaukelte vor und zurück, wobei seine Bewegungen von entzückten Kinderschreien aus dem Inneren begleitet wurden. Aus einem Dutzend unterschiedlicher Lautsprecher plärrte Musik, die sich mit dem aufgeregten Geplapper der Menschen, dem Klingeln von Handys und Lautsprecherdurchsagen zu einem undifferenzierbaren Rauschen vermischte.
Drake warf einen Blick auf das Geschäfteverzeichnis des Einkaufszentrums und stellte fest, dass es wie ein riesiges Kruzifix aufgebaut war. Sie standen am Ende des westlichen Flügels. Der nächstgelegene Outlet-Store befand sich etwa in der Mitte dieses Flügels, auf der Ebene über ihnen.
»Also gut, los geht’s. Es sieht so aus, als würde uns J.C . Penney’s nur zu gern etwas von unserem Bargeld abnehmen«, sagte er und ging zur nächsten Rolltreppe.
Anya folgte ihm, aber ohne ihre übliche ruhige Selbstsicherheit. Der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer, als sie zunehmend langsamer wurde, was Drake jedoch in dem Chaos nicht bemerkte. Schließlich blieb sie stehen und sah sich staunend um.
Sie war überwältigt. So grimmig und quälend ihre Gefangenschaft in Khatyrgan auch gewesen war, die dort herrschende Monotonie hatte ihr eine gewisse Sicherheit gewährt. Die zwei mal drei Meter große Gefängniszelle hatte allmählich ihre ganze Welt umfasst. Und der Mangel an Reizen hatte ihre Empfindsamkeit selbst für kleinste Veränderungen geschärft, sodass sie sich ihrer Umgebung extrem bewusst gewesen war.
Hier jedoch passierte gleichzeitig so viel, dass ihr Gehirn damit schlichtweg überfordert war. Sie hatte schon früher keine stark bevölkerten Plätze gemocht und vor allem Einkaufszentren immer verabscheut. Ein Gefühl, das in den letzten Jahren noch stärker geworden war.
Sie fühlte Panik in sich aufsteigen, bekam kaum noch Luft, fühlte sich von den sie umgebenden Menschenmassen eingezwängt. Obwohl sich diese Menschen alle hinsichtlich Größe, Gestalt und Geschlecht voneinander unterschieden, vermischten sie sich für sie zu einer anonymen Masse. Nur sie blieb außerhalb. Sie war anders.
Ein junges Mädchen ging an ihr vorbei. Etwa einen Meter fünfzig groß, fünfundsiebzig Kilo schwer, dunkles Haar, keine sichtbaren Waffen. Es betrachtete Anya mit einer Mischung aus Neugier und Herablassung. Das Mädchen spürte, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte. Es witterte jemanden, der anders war, und das gefiel ihm nicht.
Ein junger Mann in einem Anzug und einem Hemd mit offenem Kragen ging auf der anderen Seite an ihr vorbei. Er sprach in ein Handy und wäre fast gegen sie gestoßen. Instinktiv sprang sie zurück und musste sich beherrschen, um nicht schützend die Arme hochzureißen. Unwillkürlich taxierte sie seine mögliche Gefährlichkeit ein.
Männlich, Ende zwanzig, blond, schlank, knapp ein Meter achtzig, knapp hundertsechzig Pfund. Er bewegte sich nicht wie ein Kämpfer. War er bewaffnet? Er hätte durchaus eine Pistole in einem Gürtelhalfter hinten an der Taille tragen können.
Der Mann warf ihr einen gereizten Blick zu und trat um sie herum, aber ihm folgten andere. Überall waren andere.
Sie gehörte nicht hierher. Das wusste sie. Aber wussten die anderen es auch? Warfen sie ihr bereits argwöhnische Blicke zu, fragten sie sich, wer sie war und was sie hier tat? Anya hatte keine Ahnung. Normalerweise durchschaute sie Menschen mit Leichtigkeit, spürte, wenn sie beobachtet wurde; hier jedoch war das unmöglich.
Sie fühlte sich ausgeliefert, nackt, verletzlich. Sie hatte das Gefühl, als würde sie wieder auf diesem Boden in der Dusche liegen, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, sich zu schützen …
Nein!
Ihre Überlebensinstinkte erwachten. Sie drehte sich um, wollte flüchten, zögerte dann jedoch, weil sie nicht mehr wusste, woher sie gekommen war. Das Chaos um sie herum überwältigte sie. Sie konnte nicht richtig sehen. Sie war zwar groß für eine Frau, aber hier gab es überall Männer,
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