Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
die erheblich größer waren als sie selbst. Sie bildeten eine Mauer aus Fleisch, Knochen und bunter Kleidung, über die sie nicht hinwegblicken konnte. Sie konnte den Ausgang nicht sehen.
Du musst hier herauskommen!
Mach, dass du hier wegkommst!
Plötzlich tauchte eine Person mitten aus der gestaltlosen Masse um sie herum auf, kein ungeduldiger Käufer, der sich an ihr vorbeidrängen wollte, oder ein glotzender Teenager, sondern ein Mann, der sie kannte und der ihre Angst spürte und verstand.
Sie spürte Drakes Hand auf ihrem Arm und widersetzte sich nicht, als er sie zum Ausgang führte.
»Schon gut«, sagte er leise, während sie nebeneinander hergingen. »Ich bin ja hier.«
Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte sie den Drang zu weinen. Sie fürchtete sich, war verwirrt und verloren. Mehr als das, sie war wütend. Wütend auf Drake, weil er sie hierhergebracht hatte, wütend auf ihn, weil er ihr half und ihr das Gefühl gab, auf ihn angewiesen zu sein, wütend auf die Menschen um sie herum, die sie bedrängten, wütend auf sich selbst, weil sie so schwach und ängstlich war.
»Ich brauche frische Luft«, flüsterte sie. Mehr wagte sie nicht zu sagen.
Drake fühlte sich mies. Er hätte es eigentlich besser wissen müssen. Diese Frau hatte vier Jahre lang quasi in Isolationshaft verbracht – sie sollte eine Therapie machen und sich nicht durch dicht bevölkerte Einkaufszentren kämpfen.
Aber sie hatte sich die meiste Zeit so hart und selbstbewusst gegeben, dass man leicht vergessen konnte, was sie durchgemacht hatte. Doch selbst Anya hatte ihre Grenzen, und er hatte sie gerade dazu gedrängt, sie zu überschreiten.
Du blöder Idiot!, dachte er. Sie hätte die Beherrschung verlieren, jemanden töten können.
Sie saß auf dem Beifahrersitz, den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Strähnen ihres blonden Haars wehten im Wind. Seit dem Verlassen des Einkaufszentrums hatte sie kein Wort gesagt.
Sie fuhren auf einer ruhigen Küstenstraße nach Süden, hatten die geschäftige, laute Stadt hinter sich gelassen. Links von ihnen erstreckten sich die schimmernden Gewässer des Atlantiks bis zum Horizont. Die endlos wogenden Wellen wurden nur gelegentlich von einer Jacht oder einem Surfer durchkreuzt.
»Anya, es … es tut mir leid«, begann er. »Mir hätte klar sein müssen …«
»Was hätte Ihnen klar sein müssen?«, fuhr sie ihn an. Sie hob den Kopf und warf ihm einen finsteren Blick zu. »Dass ich schwach und jämmerlich bin? Dass ich es nicht einmal ertrage, durch ein verdammtes Einkaufszentrum zu gehen?« Sie blinzelte, wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf, um eine Haarsträhne loszuwerden, die ihr der Wind in die Augen geweht hatte.
»Sie sind nicht schwach. Glauben Sie mir, das sind Sie ganz und gar nicht.«
»Was bin ich dann, Drake?« Ihre Stimme zitterte. »Ich kann einen Mann mit bloßen Händen töten, nach Hause gehen und ohne Probleme einschlafen. Aber wenn ich über eine belebte Straße gehe, zittere ich wie ein verängstigtes Kind. Was geschieht da mit mir?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie den Kopf ab und blickte erneut aus dem Seitenfenster. »Halten Sie an.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte anhalten, Drake!«, schnauzte sie.
Er fuhr langsamer, fand eine kleine Parkbucht neben der Straße und hielt an. Sie befanden sich auf einem kaum belebten Abschnitt der Straße, an dem nur wenig Häuser lagen. Der riesige Strandabschnitt mit dem weißen Sand vor ihnen war praktisch menschenleer.
Anya verschwendete keine Zeit. Sobald der Wagen zum Stehen gekommen war, stieß sie die Tür auf und stieg aus. Dann ging sie davon, marschierte mit schnellen, zielstrebigen Schritten über den Strand, ohne zurückzublicken.
»Wo wollen Sie hin?«, rief Drake ihr nach.
Sie antwortete nicht.
44
Weißer, sauberer Sand erstreckte sich von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. Seine Ebenmäßigkeit wurde nur gelegentlich von einem Steg oder einem Wellenbrecher gestört. Anya spürte den Sand zwischen ihren Zehen, eine weitere ungewohnte Empfindung für sie, als sie zum Wasser hinunterging.
Ein leichter Wind wehte landeinwärts, warm und salzig, der ihr das Haar aus dem Gesicht blies. Sie schloss die Augen, holte tief Luft und genoss, wie der Wind ihr Gesicht umspielte.
Sie ging nach Norden, ohne ein Ziel oder eine besondere Absicht zu verfolgen. Sie versuchte nicht, irgendwohin zu gelangen, sondern sie wollte einfach nur mit ihren Gedanken allein sein.
Beim Gehen wurden ihre
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