Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
interpretierte. In diesem Moment sah sie etwas in seinen Augen, den Schimmer eines Gefühls, das er die ganze Zeit versteckt hatte; sie sah einen Teil von ihm, den er bisher sorgfältig vor ihr geheim gehalten hatte.
Ihr Körper reagierte entsprechend; sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, während sich gleichzeitig eine kribbelnde Wärme in gewissen anderen Körperteilen ausbreitete.
Sie stand auf. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich und unsicher. Sie ging durch das Zimmer, griff in ihre Tasche und zog die Glock Automatik heraus, die er nach ihrer Ankunft zunächst im Spülkasten der Toilette versteckt hatte.
»Sie war sehr nützlich«, sagte sie und gab sie ihm zurück. »Aber wir müssen sie loswerden, bevor wir morgen abreisen.« Sie sah seine Verwirrung, als er die Waffe entgegennahm. Sie hatte einen Schritt in eine bestimmte Richtung gemacht und war dann im nächsten Moment ohne jede Erklärung umgekehrt.
»Was haben Sie vor?«, fragte er, als sie nach dem Telefon auf dem Tischchen neben dem Bett griff.
»Ich bestelle etwas zu essen. Selbst ich muss manchmal essen«, antwortete sie und vermied dabei jeglichen Augenkontakt. Sie wollte ihn nicht weiter ermutigen. »Dann gehe ich ins Bett. Sie sollten auch versuchen zu schlafen. Morgen haben wir einen langen Tag vor uns.«
49
Die Zollbeamtin starrte den Ausweis ein paar Sekunden lang an, bevor sie dann den Blick zu Drake hob. Sie war eine schwarze Frau in den Fünfzigern, klein und beleibt, und ihr scharfer Blick ließ vermuten, dass sie nur auf einen Vorwand wartete, um ihn zu einer Leibesvisitation zu schleppen.
»Und was ist der Grund für Ihren Besuch in Saudi-Arabien, Sir?«
»Geschäfte. Ich arbeite für eine Beratungsfirma. Wir sind an einem Bauprojekt beteiligt«, erwiderte Drake. Er spulte die Geschichte herunter, die sie sich während des Frühstücks eingeprägt hatten. Sollten sie dazu gezwungen sein, konnten sie sogar die entsprechenden Visitenkarten vorlegen, dank Anyas Notfallkiste.
Er hatte getan, was er konnte, um sich in Lewis Henderson zu verwandeln. Er trug einen Anzug, hatte sich einen Seitenscheitel gekämmt, wie der Mann auf dem Foto im Reisepass ihn trug, und sich dessen Brille »geliehen«. Henderson war offenbar extrem kurzsichtig, denn alles, was mehr als fünf Meter entfernt war, nahm Drake nur noch verschwommen wahr.
Er schluckte und versuchte, die Übelkeit zu unterdrücken, die aus seiner Magengrube aufzusteigen schien. Kurz vor dem Verlassen ihrer Suite hatte Anya ihm ein Glas Wasser in die Hand gedrückt und ihn genötigt, es auszutrinken. Als er den intensiven Geschmack von Salz registrierte, hatte er begriffen, was sie beabsichtigte.
Hendersons und seine eigenen Gesichtszüge mochten sich zwar einigermaßen ähnlich sein, aber für ihre Gestalten traf das keineswegs zu. Drake war schlanker und sportlicher als Henderson, und seine Haut war von den vielen Aufenthalten in Ländern um den Äquator herum tief gebräunt. Um beide Probleme hatten sie sich kümmern müssen, und Anya hatte geglaubt, die optimale Lösung dafür gefunden zu haben.
Nachdem Drake sich heftig übergeben hatte, hatte er sich im Spiegel des Badezimmers betrachtet. Er war schockiert gewesen, wie bleich und krank er jetzt aussah. Als wäre sämtliches Blut aus seinem Gesicht gewichen.
Er hatte sich ein zweites Mal in den Toiletten am Abflugterminal übergeben und gehofft, damit wäre die Sache erledigt. Offenbar hatte er sich geirrt.
»Geht es Ihnen gut, Sir?« Sie sah ihn argwöhnisch an.
»Ja, danke. Das heißt, mehr oder weniger. In letzter Zeit fühle ich mich ein bisschen angeschlagen«, setzte er mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu. »Seit ich letzte Woche bei diesem Mexikaner gegessen habe. Zu scharf gewürztes Essen bekommt mir offenbar nicht, fürchte ich. Ebenso wenig wie Tequila.«
Ihre Miene wurde etwas weicher. Zweifellos hielt sie ihn für ein dummes Arschloch, aber eins von der harmlosen Sorte, was ihm nur recht war. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es sich immer auszahlte, in schwierigen Situationen den unglücklichen, ungeschickten Briten zu spielen, der hilflos im Ausland umherirrte.
»Vielleicht ist Ihnen das ja eine Lehre, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein«, bemerkte sie.
Einen Moment später hatte sie seinen Reisepass durch den magnetischen Scanner gezogen und gab ihm das Dokument zusammen mit seinem Bordpass zurück.
Er konnte gar nicht schnell genug durch das Gatter kommen.
Anya
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