Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
hingehen oder auch nur genug Lärm schlagen konnte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte ihn praktisch mit dem Band fast vollkommen mumifiziert.
Er hatte eine lange Nacht vor sich und vermutlich auch einen langen Tag, bis die Hotelangestellten ihn schließlich finden würden. Aber er würde leben. Was mit seinem Stolz und seiner Würde geschah, stand auf einem anderen Blatt, aber für beides interessierte Anya sich nicht.
Sie hatte ihm bereits die Brille, die Brieftasche, Kreditkarten und Ausweispapiere abgenommen, aber selbst eine schnelle Durchsuchung seines Zimmers förderte keinen Reisepass zutage. Dafür fand sie einen elektronischen Safe, ähnlich dem in ihrem eigenen Zimmer.
Man benötigte eine vierstellige PIN , um ihn zu öffnen. Sie warf einen Blick in seinen Führerschein. Sein Geburtsdatum war der 10.07.68.
Sie versuchte die Zahl 1968. Das Licht am Safe blitzte grün auf, und die Elektronik summte, als die Riegel zurückfuhren. Sie schüttelte den Kopf, immer wieder aufs Neue verblüfft darüber, wie naiv und vorhersehbar die meisten Leute doch agierten.
Sie stopfte seinen Pass in ihre Jackentasche, blieb vor dem Spiegel stehen, um ihr Aussehen zu überprüfen, und warf dann einen kurzen Blick in das Badezimmer.
»Danke für die Hilfe. Leben Sie wohl, Lewis«, sagte sie, verließ dann das Zimmer und hängte das Bitte nicht stören- Schild an den Türgriff.
Einen Moment später war sie verschwunden.
48
Anya schritt, sehr zufrieden mit sich, durch den Gang zu ihrer Suite. Ihr Plan war perfekt aufgegangen, und sie war jetzt im Besitz eines gültigen Reisepasses, mit dem Drake möglicherweise durch die Einreisekontrollen gelangen konnte.
Vielleicht würde sie die Flasche Champagner doch noch köpfen. Sie hatte zwar keine besondere Vorliebe für Alkohol, aber es wäre eine Schande, ihn zu verschwenden.
Jedenfalls würde sie ganz bestimmt den Zimmerservice nutzen. Sie war in letzter Zeit sehr oft hungrig, ein, wie sie fand, gutes Zeichen. Ihr Körper erholte sich von den Entbehrungen in Khatyrgan, und allmählich kehrten ihre frühere Stärke und Vitalität zurück.
Aber zuallererst würde sie sich dieses Rocks und der Pumps entledigen. Wie konnten Frauen den ganzen Tag so etwas tragen? Anya hatte derart unpraktische Garderobe noch nie sonderlich geschätzt, und sie weigerte sich, so etwas anzuziehen, solange Männer relativ bequem herumlaufen konnten.
Trotzdem hatte so etwas zu gegebener Zeit seinen Nutzen.
Mit einem Lächeln zog sie ihre Türkarte durch den Leser und stieß die Tür auf.
»Drake, zur Abwechslung habe ich gute Nachrichten.«
Er stand am Fenster und blickte über die Stadt. Regen prasselte immer noch an die Scheibe.
»Sie haben ihn also?« Er trank einen Schluck. Whisky. Sie konnte es riechen.
»Mr. Henderson war ausgesprochen kooperativ.« Sie durchquerte das Zimmer und gab ihm den Reisepass des Mannes. »Es erfordert vielleicht ein paar kleine Korrekturen an Ihnen, aber Sie können durchaus als er durchgehen.«
Drake betrachtete das Bild ein paar Augenblicke lang und sah sie dann an. »Sie haben nicht …?«
»Was? Mit ihm geschlafen?« Sie streifte die Pumps ab, setzte sich auf das Bett und massierte sich die schmerzenden Füße. Mit Attentaten kam sie klar. Frauenmode dagegen war eine gänzlich andere Angelegenheit.
»Ich wollte sagen, ihn getötet.«
»Ich weiß, was Sie sagen wollten. Keine Sorge, ich habe ihn weder ermordet noch gevögelt.« Anya grinste ihn aufreizend an. »Mal ehrlich, Drake, was wäre Ihnen denn lieber gewesen?«
Sie neigte nicht zum Flirten, aber die Wodkas, die sie mit Henderson getrunken hatte, waren ihr ein wenig zu Kopf gestiegen. Sie war erfüllt von Triumph, Optimismus und etwas anderem, das sie schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte – von dem Gefühl, sich zu jemandem sexuell hingezogen zu fühlen. Und zwar zu dem Mann, der in den letzten Tagen ihr einziger Begleiter gewesen war.
Sie hatte nicht viel darüber nachgedacht, hatte solche Gefühle einfach nicht zugelassen, aber als sie ihn jetzt ansah … Er trug kein Jackett und hatte die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet, sodass sie einen winzigen Blick auf seine muskulöse Brust erhaschen konnte. Ihr wurde klar, wie stark sich ihre Wahrnehmung seiner Person seit dem Moment, in dem er die Tür ihrer Zelle in Khatyrgan eingetreten hatte, verändert hatte.
»Ich bin mir nicht sicher, was gefährlicher wäre«, lächelte Drake, der ihre Bemerkung offenbar richtig
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