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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Aber nach der Schlacht bei Kursk haben wir ziemlich schnell gemacht, dass wir aus der Gegend wegkamen. Die Rote Armee war sozusagen am Drücker. Ich bekam Heimaturlaub. Ich heiratete. Eine Lehrerin. Dann wurde ich vom Abwehrdienst rekrutiert und wieder zum Hauptmann befördert.»
    «Warum waren Sie degradiert worden?»
    «Wegen der Geschichte in Prag. Ich bin da vermutlich irgendwem auf die Hühneraugen getreten. Jedenfalls, im Februar 44 wurde ich in General Schörners Heeresgruppe Nord als Abwehroffizier berufen. Da sprach ich schon ganz passabel Russisch und auch ein bisschen Polnisch. Ich war hauptsächlich fürs Dolmetschen zuständig. Zumindest bis die Kampfhandlungen losgingen. Dann hieß es nur noch kämpfen, kämpfen, kämpfen. Töten oder getötet werden. Eine Frage: Hat einer von euch Brüdern Grimm je aktiv gekämpft?»
    «Nein», sagte der Pfeifen-Mann. «Ich hab den ganzen Krieg hindurch Schreibtischdienst geschoben.»
    «Ich war zu jung», sagte der Fliegen-Mann.
    «Dachte ich mir. Man sieht das einem Mann an den Augen an. Vielleicht interessiert es Sie, dass es 1944 für die deutsche Armee längst kein ‹zu jung› mehr gab. Und auch kein ‹zu alt›. Und es schob keiner Schreibtischdienst, wenn er ein Flugzeug fliegen oder in einem Panzer sitzen oder ein Flugabwehrgeschütz bedienen konnte. Da marschierten Dreizehnjährige neben Fünfundsechzig- oder Siebzigjährigen. Wissen Sie, als die Rote Armee in Ostpreußen einfiel, wurde die deutsche Zivilbevölkerung an die Front beordert, wie das bei der russischen Zivilbevölkerung schon gang und gäbe war. Nun hatten wir nämlich mehr Grund zu kämpfen, und deshalb wurden Männer und Jungen jeden Alters in die Armee eingezogen. Nichts und niemand wurde verschont, am wenigsten die Deutschen selbst. Goebbels hatte vom totalen Krieg gesprochen. Und er hatte es wirklich ernst gemeint, was bei ihm selten vorkam. Total bedeutete: alle eingeschlossen.
    Ihr Amis redet von eurem Kalten Krieg, aber ihr wisst gar nicht, was ein kalter, erbarmungsloser Krieg ist, was es heißt, gegen feindliche Soldaten zu kämpfen, die einfach nicht weniger werden. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Vierzehn Monate lang hab ich Russen getötet, und eins kann ich euch sagen – ihr Heer ist unerschöpflich. Man kann so viele töten, wie man will, es kommen immer welche nach. Also denkt daran, falls ihr irgendwann mal in die gleiche Lage geratet. Obwohl hier keiner ernsthaft glaubt, dass ihr sie aufhalten werdet. Warum solltet ihr auch kämpfen, um Europa zu retten, um Deutsche zu retten? Das ist der einzige Grund, aus dem wir weiter gekämpft haben: um den Iwan daran zu hindern, die ostpreußische Bevölkerung abzuschlachten. Jetzt könnten Sie sagen, wir haben ja genau das Gleiche mit den Juden gemacht, und Sie hätten recht damit. Aber für sowjetische Offiziere gibt es keine Kriegsverbrecherprozesse, keinen einzigen Iwan hier in Landsberg. Sie würden mich verstehen, wenn Sie gesehen hätten, was ich gesehen habe: wie ein russischer Panzer eine Gruppe Zivilisten einfach überrollt oder wie ein Jagdflugzeug eine lange Kolonne Flüchtlinge unter Beschuss nimmt. Wie viele Amerikaner wurden von Sepp Dietrich und seinen Männern bei Malmedy erschossen? Neunzig? Neunzig. Das bezeichnet ihr schon als Kriegsverbrechen. Für die Russen in Ostpreußen waren neunzig Tote nicht mal ein Vergehen, höchstens eine kleine Ordnungswidrigkeit. Aber es ist nun mal mehr als eine kleine Ordnungswidrigkeit, wenn das normale Verhalten des Militärs barbarisch und grausam ist.»
    Ich schwieg einen Moment.
    «Was haben Sie?»
    «Darüber hab ich noch nie gesprochen», sagte ich. «Es ist nicht leicht. Wie heißt es bei Goethe? ‹Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen. Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.› Trotzdem ist es richtig, dass Sie es sich anhören. Das Problem mit euch Amis ist nämlich, dass ihr euch einbildet, ihr hättet den Krieg gewonnen, wo doch jeder weiß, dass es die Russen waren. Ohne euch und die Engländer hätten sie vielleicht länger gebraucht, um uns zu besiegen. Aber besiegt hätten sie uns. Stalins Gleichung, so nannten wir das. Auf fünf von uns kamen zwanzig Russen. Und so hätte Stalin in jedem Fall gewonnen. Vergesst das nicht, falls der Iwan je in Westberlin einfällt.»
    «Jaja. Reden wir über Königsberg. In Königsberg kamen Sie in Kriegsgefangenschaft.»
    «Hetzen Sie mich nicht. Ich muss das auf meine Weise erzählen. Wenn etwas so lange

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