Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
Metelmann und Gebhardt mussten also eine Art toten Briefkasten benutzt haben.
    Die Russen hatten eine Redensart. In der Sowjetunion pflegt man Freundschaften, indem man seine Freunde nicht verrät. Ich hatte Georg Oberheuser nie besonders leiden können, aber er hatte es nicht verdient, von einem Kameraden verraten zu werden. Laut Mrugowski war Oberheuser vor ein Volksgericht gestellt und zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit und Umerziehung verurteilt worden. Zumindest hatte ihm das der Lagerkommandant erzählt. Aber ich glaubte Major Sawostin nicht, dass der große Stalin die Todesstrafe abgeschafft hatte. Nachdem ich auf dem langen Marsch raus aus Königsberg Unmengen meiner Landsleute erschossen am Straßenrand hatte liegen sehen, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass standrechtliche Hinrichtungen in der Sowjetunion nicht mehr an der Tagesordnung waren. Aber egal, ob Oberheuser tot war oder nicht: Es war meine Aufgabe, ihn zu rächen. Das ist unsere Schuld gegenüber den Toten. Ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen, wenn wir können.
     
    Die übrigen
plenis
kamen von der Arbeit zurück, und ich ging schnurstracks zur Kantine, um vor dem Hauptandrang dort zu sein. Als ich Metelmann sah, reihte ich mich hinter ihm ein und versuchte, an ihm Anzeichen von Nervosität zu entdecken. Da sprach Sajer mich an:
    «Gunther, hast du wirklich vor, einen von uns dem Iwan ans Messer zu liefern?»
    «Kommt drauf an», sagte ich und schlurfte in der Schlange voran.
    «Worauf?»
    «Ob ich rausfinde, wer’s war. Im Augenblick hab ich noch keine Ahnung. Übrigens, ich hab erfahren, dass ich einer der fünfundzwanzig sein werde, die der Iwan aussuchen wird, wenn ich keinen Namen liefere. Nur damit ihr wisst, dass ich die Sache sehr ernst nehme.»
    «Meint ihr, die machen das wirklich?», fragte Metelmann.
    «Klar machen die das», sagte Sajer. «Die Russen kennen keine leeren Drohungen. Zumindest in der Hinsicht ist auf sie Verlass. Diese Schweine.»
    «Wie willst du vorgehen, Bernie?», fragte Metelmann.
    «Wenn ich das wüsste.» Ich sah wütend zu Mrugowski rüber. «Das ist alles seine Schuld. Wenn er nicht wäre, hätte ich dieselben Chancen, ausgewählt zu werden, wie alle anderen.»
    «Vielleicht findest du ja was raus», sagte Metelmann. «Du warst ein guter Polizist, sagen hier viele.»
    «Was wissen die denn schon? Glaub mir, ich müsste Sherlock Holmes sein, um den Fall aufzuklären. Meine einzige Chance ist, den NKWD -Major zu bestechen, damit er mich von der Liste nimmt. Hör mal, Metelmann, kannst du mir vielleicht Geld leihen?»
    «Ich kann dir fünf Rubel geben», sagte er.
    «Mit fünf Rubel lässt sich der Major bestimmt nicht bestechen», sagte Sajer.
    «Ist wenigstens schon mal ein Anfang», sagte ich, als Metelmann einen Fünfer aus der Tasche zog. «Danke, Konrad. Wie steht’s mit dir, Sajer?»
    «Was ist, wenn ich selbst irgendwen bestechen muss?» Er grinste Metelmann gehässig an. «Wenn sie dich aussuchen, tut’s dir bestimmt leid, dass du ihm den Fünfer gegeben hast, du dämlicher Hund.»
    «Leck mich doch, Sajer», sagte Metelmann.
    «Woher hat einer wie du überhaupt fünf Rubel?», fragte Sajer.
    Metelmann verzog das Gesicht und griff nach einem Stück
chleb
. Mit der linken Hand.
    Außerdem fiel mir eine Kratzwunde an seinem Unterarm auf. Vielleicht hatte er sich die auf der Baustelle geholt. Aber ich hielt es für wahrscheinlicher, dass er sie sich geholt hatte, als er Gebhardt ermordete.
     
    Die folgenden drei Tage verbrachte ich in Gebhardts Hütte und holte Schlaf nach. Ich wusste, was zu tun war, aber ich musste es ja nicht vor Ablauf der Frist tun, die das NKWD mir gesetzt hatte. Ich war fest entschlossen, meinen Urlaub bis auf die letzte Minute auszukosten. Nach Monaten der Schwerstarbeit und der Hungerrationen war ich erschöpft und ein wenig fiebrig. Einmal am Tag kam der Oberst rein, und ich erklärte ihm, dass ich gut vorankam, auch wenn es nicht den Anschein hatte. Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Aber das war mir egal. Schließlich würde ich meine Wehrmachtspension nicht verlieren, nur weil er eine schlechte Meinung von mir hatte. Außerdem waren der Oberst und ich zwei verschiedene Köpfe auf demselben Doppeladler – ich schaute nach links, und er schaute nach rechts. Selbst in einem sowjetischen Gefangenenlager konnte er kaum einen Raum verlassen, ohne die Hacken zusammenzuschlagen. O ja, unser Oberst Mrugowski war ein richtiger Fred Astaire.
    Am dritten Tag tauchte ich aus

Weitere Kostenlose Bücher