Mission Walhalla
ihn als Kamerad bezeichnet hätte.»
«Wie war sein Name?»
«Edgard», sagte ich. «Edgard de Soundso.»
«Versuchen Sie, sich zu erinnern», sagte einer der Franzosen geduldig.
«Boudin?» Ich zuckte die Achseln. «De Boudin? Ich weiß nicht mehr. Es ist lange her. Ein halbes Leben. Kein gutes halbes Leben noch dazu. Manche von den armen Schweinen kommen erst jetzt nach Hause.»
«Boudin kann nicht stimmen. Boudin bedeutet Blutwurst. So kann er nicht geheißen haben.» Er wartete. «Denken Sie nach.»
Ich dachte einen Moment nach und zuckte dann wieder mit den Achseln. «Tut mir leid.»
«Erzählen Sie uns doch, was Sie noch so über ihn in Erinnerung haben, vielleicht fällt Ihnen ja der Name dann wieder ein», schlug der andere Franzose vor. Er entkorkte eine Flasche Rotwein, goss ein wenig in ein kleines Glas und schnupperte daran, ehe er einen Schluck probierte und mir und ihnen beiden etwas mehr einschenkte. In diesem Raum, an diesem trüben Sommertag, gab mir dieses kleine Ritual das Gefühl zurück, ein Mensch zu sein, als wäre ich zum ersten Mal seit Monaten der Haft und der Misshandlung wieder mehr als bloß ein Name auf einer kleinen Schiefertafel neben einer Zellentür.
Ich prostete ihm zu als Dank für seine Höflichkeit, trank einen Schluck Wein und sagte: «Das erste Mal bin ich ihm in Paris begegnet, 1940. Ich glaube, es war Herbert Hagen, der uns miteinander bekannt machte. Es ging irgendwie um die Judenpolitik in Paris, ich weiß nicht mehr. Ich habe mich nie um solche Sachen geschert. Aber das sagen wir jetzt ja wohl alle, was? Die Deutschen. Jedenfalls, Edgard de Soundso stand Hagen in Sachen Antisemitismus in nichts nach, aber ich konnte ihn trotzdem ganz gut leiden. Er war Hauptmann im Ersten Weltkrieg gewesen, ist aber danach im Zivilleben gescheitert, und das hat ihn bewogen, in die Fremdenlegion zu gehen. Ich glaube, er war in Marokko stationiert, von wo er nach Indochina geschickt wurde. Und natürlich hasste er die Kommunisten, was ich ganz in Ordnung fand. So viel hatten wir immerhin gemeinsam.
Jedenfalls, das war 1940, und als ich Paris verließ, rechnete ich nicht damit, ihn wiederzusehen, und ganz bestimmt nicht ein Jahr später, in der Ukraine. Edgard gehörte so einer französischen Einheit in der deutschen Armee an – nicht der SS , das war später –, sondern der französischen Freiwilligenlegion gegen den Bolschewismus oder irgend so ein Unfug. Den Namen hatten sich die Franzosen ausgedacht. Wir nannten die Einheit Infanterieregiment irgendwas. Infanterieregiment 638. Ja. Genau. Die Männer waren überwiegend Faschisten aus Vichy-Frankreich oder sogar französische Kriegsgefangene, die nicht scharf darauf waren, nach Deutschland zur Zwangsarbeit in der Organisation Todt geschickt zu werden. Es waren vermutlich so um die sechstausend. Arme Schweine.»
«Warum sagen Sie das?»
Ich trank einen kleinen Schluck Wein und bediente mich aus der Packung Zigaretten auf dem Tisch. Draußen vor dem Fenster, auf dem Haupthof, ließ jemand vergeblich einen Anlasser orgeln. Irgendwo weiter weg saß vermutlich de Gaulle in einer Ecke, wartend oder schmollend, je nachdem, wie man es betrachtete, und die französische Armee leckte ihre Wunden, nachdem sie – schon wieder – Prügel bezogen hatte, diesmal in Vietnam.
«Weil sie nicht wissen konnten, worauf sie sich einließen», sagte ich. «Partisanenbekämpfung, das hört sich ganz passabel an, solange man hier in Paris ist. Aber da draußen, in Weißrussland, bedeutete das etwas ganz anderes.» Ich schüttelte traurig den Kopf. «Das hatte nichts mit Ehre zu tun. Mit Ruhm. Mit nichts von dem, worum es ihnen ging.»
«Was bedeutete es denn dann?», fragte die Augenbraue. «Vor Ort.»
«Im Prinzip ging es um nichts anderes als Mord. Massenmord. An Juden. Alle möglichen Polizeieinsätze und Antipartisanenkämpfe waren bloß ein Vorwand für die Ermordung von Juden. Offen gestanden, das Oberkommando der Wehrmacht in Russland hätte das IR 638 ohnehin mit keiner anderen Aufgabe betraut als Mord.»
«Der Name des Kommandeurs. Erinnern Sie sich an den?»
«Labonne. Oberst Labonne. Nach dem Winter 1941 verlor ich den Kontakt zu Edgard.» Ich schnippte mit den Fingern. «De Boudel. So hieß er. Edgard de Boudel.»
«Sind Sie sicher?»
«Ganz sicher.»
«Weiter.»
«Also dann. Mal sehen. Zwei Jahre später war ich noch einmal für kurze Zeit dort, um ein angebliches Kriegsverbrechen zu untersuchen. Da erfuhr ich dann, dass das
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