Mission Walhalla
so wimmelte. Von richtigen Ratten. Sie trippelten so seelenruhig über die Flure, als wären sie es, die die Zellenschlüssel besaßen.
Als ich am nächsten Tag wieder im Schwimmbad war, fragten die Franzosen mich nach Erich Mielke.
«Was wollen Sie hören?», erwiderte ich, als hätte ich keine Ahnung, worum es meinen Zuhörern ging, oder genauer gesagt, was ich ihnen am besten erzählen sollte. «Das ist alles Schnee von gestern. Sie wollen doch sicher nicht, dass ich das alles nochmal durchkaue.»
«Alles, was Sie wissen.»
«Ich wüsste nicht, wieso das für meinen Aufenthalt hier in Paris von Belang sein könnte.»
«Das zu beurteilen, dürfen Sie getrost uns überlassen.»
«Wenn ich wüsste, warum Sie an ihm interessiert sind, könnte ich vielleicht konkretere Angaben machen. Immerhin lässt sich diese ganze Geschichte nicht in zwei Minuten erzählen. Herrgott, die Sache ist zwanzig Jahre her. Oder sogar länger.»
«Wir haben reichlich Zeit. Vielleicht fangen Sie ganz von vorne an. Wie Sie ihn kennengelernt haben und wann. So was eben.»
«Sie meinen, den ganzen Roman, von Anfang bis Ende?»
«Genau.»
«Na schön. Wenn Sie das wirklich alles wissen wollen. Dann erzähle ich es Ihnen.»
Natürlich hatte ich nicht die geringste Lust dazu. Keinesfalls. Nicht schon wieder. Daher tischte ich ihnen eine überarbeitete, unterhaltsamere Version dessen auf, was ich den Amis bereits erzählt hatte. Eine französische Version. Eine glattzüngige Kurzfassung, die das Ergebnis eines erschöpften Gewissens war, eines Gewissens, das mit schlichtem Pragmatismus rang und sehr rasch zu überwältigen war. Eine Geschichte von der Sorte, die leicht erzählt ist, aber besser nicht geglaubt werden sollte.
«Die Entscheidung, Mielke entkommen zu lassen, wurde im Innenministerium getroffen. Obwohl er erwiesenermaßen an der Ermordung von zwei Polizisten beteiligt war. Das lief ungefähr so ab: Die Abteilung I A war aufgebaut worden, um die Weimarer Republik gegen Verschwörer linker und rechter Couleur zu schützen, und wir dachten uns, dass das am besten ginge, wenn wir uns auf beiden Seiten ein paar Informanten hielten. Aber ein Mann wie Mielke kam da kaum in Frage. Wir hatten ihn verhaftet und hatten ihn für die Guillotine vorgesehen. Doch die Abwehr – der deutsche Nachrichtendienst – überzeugte das Ministerium, dass es besser wäre, aus Mielke einen Agenten zu machen. Und so kam es dann auch. Wir wurden überredet, ihn entkommen zu lassen, damit wir ihn vielleicht als Agent gewinnen könnten, der Moskauer Maulwurf der Abwehr. Als Dank kümmerten wir uns um seine Familie. Die Abwehr ließ ihn die ganzen dreißiger Jahre und während des Spanischen Bürgerkriegs für sich arbeiten. Er belieferte uns mit wichtigen Informationen über republikanische Truppenbewegungen, die für die Legion Condor ungemein hilfreich waren, und er konnte mehrere politische Säuberungsaktionen auslösen, bei denen einige ihrer besten Leute als Trotzkisten oder Anarchisten eliminiert wurden. In dieser Hinsicht war Mielke wirklich brauchbar.
Als der Krieg ausbrach, beschlossen der SD und die Abwehr, sich Mielke zu teilen. Das Problem war nur, dass wir ihn verloren hatten. Daher schickte Heydrich mich im Sommer 1940 nach Frankreich, um ihn aus Gurs oder Le Vernet rauszuholen, wo wir ihn vermuteten. Und so geschah es. Ich fand ihn in Le Vernet und brachte ihn übers Meer nach Algerien. Von dort gelang es deutschen Agenten, ihm die Rückkehr nach Russland zu ermöglichen. Ich war in den folgenden drei Jahren, in denen er sich die Parteihierarchie hocharbeitete, sein Führungsoffizier beim SD . 1945, bei Kriegsende, verlor ich ihn wieder aus den Augen. Doch er spürte mich im Kriegsgefangenenlager auf, wo er deutsche Offiziere für die Stasi anwarb. Mit seiner Hilfe gelang mir die Flucht zurück nach Deutschland. Dort handelte ich mit einigen Amis im Counter Intelligence Corps in unser beider Interesse ein Geschäft aus.»
«Worum ging es bei dem Geschäft?»
«Um Geld natürlich. Um sehr viel Geld. Danach hab ich ihn noch eine Weile weiter betreut, als Agent in Berlin und Wien, bis die vom CIC plötzlich meinten, meine SS -Vergangenheit könnte für sie peinlich werden. Sie wiesen Mielke einem neuen Führungsoffizier zu und brachten mich auf einer Rattenlinie über Genua nach Argentinien. Und von da nach Kuba. Ich würde mir immer noch in Havanna die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, wenn die Amerikaner nicht so ein inkompetenter
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