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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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der Ferne konnte ich so etwas wie Schulhofgeräusche vernehmen.
    «Sehen Sie das Gebäude mit den Türmen hinter der Mauer?», sagte er. «Das ist das größte Schwimmbad in ganz Paris. Es wurde für die Olympischen Sommerspiele 1924 gebaut. An einem Tag wie heute tummelt sich dort die Hälfte aller Pariser Kinder. Wir gehen manchmal auch hin, wenn es ruhiger ist.»
    «Verstehe», sagte ich. «Bei der Gestapo hatten wir so was Ähnliches. Den Landwehrkanal. Wir sind natürlich nie selbst drin schwimmen gegangen. Aber wir haben jede Menge Leute hingebracht. Hauptsächlich Kommunisten. Das heißt, vorausgesetzt, sie waren Nichtschwimmer.»

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Kapitel 28 FRANKREICH UND DEUTSCHLAND 1954
    Vom La Santé wurde ich in den kleinen Pariser Vorort Sainte-Mandé gebracht, etwa fünf Autominuten vom Schwimmbad entfernt. Die Pension Verdun auf der Avenue Victor Hugo 102 war ein ruhiges, komfortables Haus mit Parkettböden und hohen Fenstern. In dem hübschen Garten saß ich häufig in der Sonne, während ich darauf wartete, nach Deutschland zurückkehren zu können. Die Pension war Unterschlupf und Unterkunft für Angehörige des SDECE oder seiner Agenten, und etliche Gesichter dort kamen mir aus meiner Zeit im Schwimmbad bekannt vor. Aber ich wurde nicht behelligt. Ich durfte sogar das Grundstück verlassen – obwohl mir jemand in einiger Entfernung folgte –, und einmal spazierte ich an der Seine entlang bis zur Île de la Cité und Notre-Dame. Zum ersten Mal sah ich Paris ohne die allgegenwärtige Wehrmacht und ohne die zahllosen Schilder auf Deutsch. Statt von Fahrrädern wimmelte es jetzt von Autos, wodurch mir die Stadt ebenso gefährlich vorkam wie 1940, als ich als feindlicher Soldat hier war. Doch das lag wohl auch daran, dass meine Nerven blanklagen. Das Straßenleben machte mich nervös, nachdem ich die letzten sechs Monate in diversen Gefängnissen von allem weggesperrt gewesen war. Auch ohne ans Bein gekettete Eisenkugel fühlte ich mich noch immer wie ein Knastbruder. Und sah auch wie einer aus. Aus diesem Grund fuhren sie mit mir zu den Galeries Lafayette am Boulevard Hausmann, um mich einzukleiden. Die neuen Klamotten sorgten jedoch nicht dafür, dass ich wieder der Alte wurde; dafür war zu viel Wasser die Seine hinuntergeflossen. Aber ich fühlte mich halbwegs wiederhergestellt. Wie eine alte Tür mit einem neuen Anstrich.
    Die Franzosen hatten nicht übertrieben, was die Schwierigkeiten betraf, nach Berlin zu reisen. Die innerdeutsche Grenze zwischen West- und Ostdeutschland – die grüne Grenze – war ab Mai 1952 verstärkt abgeriegelt und die meisten Verkehrsverbindungen zwischen den beiden Teilen des Landes durchtrennt worden. Nur in Berlin selbst konnten Ostdeutsche noch ungehindert in den Westen; in den Osten und wieder hinaus kam man nur über einige wenige Grenzübergänge entlang eines streng bewachten und mit Stacheldraht gesicherten Zauns. Der größte und am stärksten frequentierte Grenzübergang war der bei Helmstedt-Marienborn am Rande des Lappwaldes. Zunächst jedoch führte uns unser Weg nach Hannover, in die britische Besatzungszone.
    Wir stiegen am Gare du Nord in einen Nachtzug, ich und meine beiden französischen Führungsoffiziere vom SDECE . Sie hatten jetzt Namen – Namen und Pässe –, obwohl es wahrscheinlich nicht ihre richtigen Namen waren, zumal ich selbst jetzt auch einen Pass hatte – einen französischen –, auf den Namen Sébastien Kléber, Handelsreisender aus dem Elsass. Der Franzose mit den Augenbrauen hieß angeblich Philippe Méntelin; der Schlaflose nannte sich Emile Vigée.
    Wir hatten ein Schlafabteil für uns allein, aber vor lauter Aufregung tat ich kein Auge zu, und als der Zug neuneinhalb Stunden später in den Hauptbahnhof von Hannover einfuhr, sprach ich ein stilles kleines Dankgebet, dass ich wieder in Preußen war. Das Reiterstandbild von König Ernst August I. auf dem Bahnhofsvorplatz stand noch immer da, und das Neue Rathaus mit seinen roten Dächern und Kuppeln sah weitgehend so aus, wie ich es in Erinnerung hatte, aber andernorts war die Stadt kaum wiederzuerkennen. Die Adolf-Hitler-Straße hieß jetzt wieder Bahnhofstraße, aus dem Horst-Wessel-Platz war wieder der Königsworther Platz geworden, und die Oper stand nicht mehr auf dem Adolf-Hitler-Platz, sondern, wie es sich gehörte, auf dem Opernplatz. Die durch Bomben zerstörte Aegidienkirche an der Ecke Breite Straße war nicht wieder aufgebaut worden, und ihre von

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