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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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sollte man wissen, wie man sich zu verhalten hat. Was einen erwartet.»
    Grottsch nickte höflich, drückte seine Zigarette aus, beugte sich vor und faltete die Hände, als wollte er ein Gebet mit uns sprechen.
    «Man nennt es Spezialsystem, weil die Maßnahmen darauf abzielen, Spione, Saboteure, Terroristen und Schmuggler fernzuhalten. Anders ausgedrückt, Leute wie uns.» Er schmunzelte. «Wir benutzen den Checkpoint Alpha. Bei Helmstedt. Es ist der größte und am meisten frequentierte Übergang, weil die Strecke von dort nach Westberlin nur hundertachtzig Kilometer beträgt. Die Straße läuft durch einen streng bewachten und mit Zäunen versehenen Korridor. Es ist eine Art Niemandsland, und wir verlassen unter keinen Umständen den Wagen, selbst wenn wir eine Panne haben. In diesem Fall warten wir im Auto auf Hilfe, egal, wie lange es dauert. Wer aussteigt, riskiert, erschossen zu werden, was tatsächlich schon vorgekommen ist. Die Grenzpolizisten, die Grepos, gelten als ziemlich schießfreudig. Drücke ich mich klar genug aus?»
    «Glasklar, Herr Grottsch. Danke.»
    «Gut.» Grottsch lauschte einen Moment und nickte dann anerkennend. «Was für ein Vergnügen, wieder Mendelssohn zu hören. Und nicht fürchten zu müssen, dass das unpatriotisch ist.»
    «Er war doch Deutscher, nicht?», sagte ich. «Aus Hamburg.»
    «Nein», sagte Grottsch. «Mendelssohn war Jude.»
    Wenger nickte und zündete sich eine Zigarette an. «Das stimmt», sagte er. «Ein Jude aus Leipzig.»
    «Also», fuhr Grottsch fort, «reinzukommen ist der erste Schritt, rauszukommen der zweite, schwierigere. Inspektionsgruben, Spiegel, bei einer Totenüberführung gucken sie sogar in den Sarg, um zu überprüfen, ob der Verstorbene, der in Westdeutschland beerdigt werden soll, auch wirklich tot ist. Nicht mal Mendelssohn käme heutzutage ohne die entsprechenden Papiere in den Westen. Und der ist seit über hundert Jahren tot.»
    «Nun zu Ihrer Freundin», sagte Wenger. «Fräulein Dehler. Es wird Sie freuen zu hören, dass sie noch an derselben Adresse wohnt. Aber sie arbeitet nicht mehr als Näherin, sondern im
Queen
. Das ist ein Nachtklub in der Auguste-Viktoria-Straße.»
    «Ein anständiger Laden?»
    «So anständig, wie man es von diesen Läden erwartet.»
     
    Helmstedt war ein kleines Städtchen mit mittelalterlichen Fachwerkhäusern, farbenfrohen Stadtmauertürmen und hübschen alten Kirchen. Das Rathaus, ein imposanter Sandsteinbau, glich einer gewaltigen Orgel, wie sie früher in den Kathedralen gestanden hatten. Ich hätte mir gern mehr angeschaut, aber meine beiden Begleiter wollten möglichst schnell durch den Checkpoint Alpha, damit wir Berlin erreichten, ehe es dunkel wurde. Und ich konnte es ihnen nicht verdenken. Von Marienborn bis Berlin lag eine dreistündige Fahrt durch eine unfreundliche Landschaft vor uns, gesichert durch Männer und Hunde, Stacheldraht und Minen. Am gefährlichsten aber sahen die Gesichter der Grepos am Checkpoint Alpha aus. Mit ihren hohen Stiefeln, Schulterkoppeln und langen Ledermänteln erinnerten mich die Grenzpolizisten an die SS , und die langgestreckten Holzhütten, aus denen sie auftauchten, ähnelten den Baracken in einem KZ . Die Hakenkreuze waren durch Rote Sterne und durch Hammer und Sichel ersetzt worden, aber ansonsten sah ich keine großen Unterschiede. Bis auf eines: Der Nationalsozialismus hatte nie so konsequent gewirkt wie das hier. Und so endgültig.
    Grottsch und Wenger wechselten sich am Steuer ab, und es ging praktisch nur geradeaus; man blieb einfach auf der A2 und kam irgendwann in Berlin an. Aber sie hüteten sich nach wie vor, Fragen zu stellen, als hätten die Franzosen sie vor den Antworten gewarnt. Wenn sie mal den Mund aufmachten, sprachen sie über belanglose Themen: das Wetter, die Landschaft, Citroën im Vergleich zu Mercedes, das Leben in der DDR und, als wir unserem Ziel näher kamen, die Vier Mächte und ihre anhaltende Besetzung der ehemaligen deutschen Hauptstadt, von der keiner von uns dreien begeistert war. Selbstverständlich hielten wir die Russen für die Schlimmsten von allen, doch wir diskutierten mindestens eine Stunde darüber, welche von den übrigen drei Besatzungsmächten die Silbermedaille verdiente.
    Meine beiden Kollegen fanden, dass die Briten die gleichen schlechten Charakterzüge hatten wie die Amerikaner – Arroganz und Ignoranz –, allerdings ohne auch nur eine von deren guten Seiten zu besitzen, die es leichter machten, die schlechten zu

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