Mission Walhalla
glaube ich. An die Amis.»
«Nicht alles.» Elisabeth lächelte. «Mich hab ich nicht verkauft. Im Gegensatz zu vielen anderen. Das kam für mich nie in Frage.» Sie setzte Wasser auf und sagte: «Wie lange ist das her?»
«Seit ich das letzte Mal hier war? Sechs oder sieben Jahre.»
«Kommt mir länger vor. Wo hast du gesteckt? Was hast du gemacht?»
«Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Die Vergangenheit. Im Moment zählt allein das Jetzt. Alles andere ist unerheblich. Zumindest kommt es mir so vor.»
«Du warst wirklich tot, nicht?»
«Mmm-hmm.»
Sie brühte den Kaffee auf und ging voraus in ein kleines, gemütliches Wohnzimmer. Das Mobiliar war schlicht und robust. Die kupferfarbenen Blätter der Linde vor dem Fenster schirmten den Raum gegen die helle Herbstsonne ab. Ich fühlte mich wohl, wie zu Hause. Jedenfalls so zu Hause, wie ich mich überhaupt irgendwo fühlen konnte.
«Keine Nähmaschine», bemerkte ich.
«Teure Maßanfertigungen sind nicht mehr sehr gefragt. Jedenfalls nicht in Berlin. Nicht seit dem Krieg. Wer kann sich so was noch leisten? Ich arbeite jetzt in einem Klub, dem
Queen
. In der Auguste-Viktoria-Straße. Nummer sechsundzwanzig. Schau doch mal vorbei. Aber nicht heute. Sonntags ist Ruhetag. Deshalb bin ich auch zu Hause.»
«Ist heute Sonntag? Keine Ahnung.»
«Bist wohl erst ganz frisch von den Toten auferstanden. Sieht nicht so aus, als sei ein anständiger Mann aus dir geworden. Aber der Klub ist anständig. Wahrscheinlich zu anständig für einen Mann wie dich, aber so was verlangt die Kundschaft heutzutage. Keiner will mehr das alte Berlin. Mit den Sexklubs und den Huren.»
«Keiner?»
«Na schön. Die Amerikaner wollen das nicht mehr. Zumindest offiziell.»
«Das überrascht mich. Auf Kuba konnten sie von den Sexklubs nicht genug kriegen. Jeden Abend standen sie vor dem anrüchigsten Haus Schlange. Dem Shanghai.»
«Wie das in Kuba ist, weiß ich nicht. Aber hier sind viele Amerikaner aufrechte Lutheraner. Tja, wir sind schließlich in Deutschland. Die Amerikaner scheinen zu denken, dass die Russen das geringste Anzeichen von Sittenlosigkeit zum Vorwand nehmen könnten, um in Westberlin einzumarschieren. Anscheinend wollen sie den Kalten Krieg so kalt wie möglich halten, in jeder Hinsicht. Wusstest du, dass man verhaftet werden kann, wenn man in den Parks nackt ein Sonnenbad nimmt?»
«In meinem Alter lasse ich mich zu so was nicht mehr hinreißen.» Ich trank einen Schluck von ihrem Kaffee und nickte anerkennend.
Elisabeth steckte sich eine Zigarette an. «Dann warst du das also? Der mir aus Kuba Geld geschickt hat? Hab ich mir doch gedacht.»
«Zu der Zeit hatte ich mehr, als ich ausgeben konnte.»
«Und jetzt?»
«Ich bin noch dabei, so einige Sachen zu regeln.»
«Du siehst nicht aus, als kämst du direkt aus der Sonne.»
«Wie gesagt. In meinem Alter. Ich hab aber noch nie gern in der Sonne herumgelegen.»
«Ich schon. Ich find’s toll. Nutze jede Gelegenheit. Bei den Wintern, die wir hier haben. Was für Sachen musst du denn regeln?»
«Berliner Sachen.»
«Hmm. Das klingt verdächtig. Berlin war mal eine Stadt der Huren. Und wie eine Hure siehst du nicht aus. Jetzt ist es eine Stadt der Spione. Also –» Sie zuckte die Achseln und trank von ihrem Kaffee.
«Ich schätze, deshalb mögen sie keine Freudenmädchen und Sexklubs. Weil ihre Spione schön brav bleiben sollen. Und zum Thema nackt sonnenbaden, na, man kann schlecht vorgeben, etwas zu sein, was man nicht ist, wenn man nichts am Leib hat.»
«Das werde ich mir merken. Übrigens, wir haben im Klub jede Menge Spione. Amerikanische Spione.»
«Woran erkennst du die?»
«Das sind die Gäste, die keine Uniform tragen.»
Sie machte natürlich Witze. Aber trotzdem konnte es stimmen. Ich blickte zu der Musiktruhe hinüber, die so groß war wie eine Getränkebar und leises Gemurmel von sich gab. «Was läuft denn da für ein Sender?»
« RIAS », sagte sie.
«Kenn ich nicht. Ich kenne gar keine Berliner Sender.»
«Das ist die Abkürzung für Rundfunk im amerikanischen Sektor», sagte sie. «Höre ich jeden Sonntagmorgen.»
Ich verzog das Gesicht. Auf dem Couchtisch lag eine Ausgabe der
Neuen Zeitung
. «Radio. Zeitungen. Alles in der Hand der Amerikaner. Manchmal glaube ich, wir haben mehr verloren als nur den Krieg.»
«Sie sind gar nicht so übel. Wer zahlt deine Miete?»
«Der VdH.»
«Klar. Du warst selbst Kriegsgefangener, nicht?»
Ich nickte.
«Vor zwei Jahren war ich auf einer
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