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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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stolz sein kann. Falls es noch einen Krieg gibt, solltest du dich vielleicht vorsichtshalber schnell von mir scheiden lassen. Was noch? Ach ja, ich bin der geborene Verlierer. Das solltest du unbedingt wissen, glaube ich. Das erklärt zumindest meine derzeitige Situation, die nicht frei von Gefahr ist, mein Engel. Aber das hast du dir bestimmt schon gedacht. Ein Mann arbeitet nicht für seine Feinde, es sei denn, er hat keine andere Wahl. Ich bin bloß ein billiger Brieföffner. Die Leute beauftragen mich, wenn sie einen Briefumschlag öffnen müssen, und legen mich dann wieder weg. Ich hab dabei nichts zu melden. Soweit ich zurückdenken kann, bin ich nie etwas anderes gewesen, auch wenn ich mir eingebildet habe, ich wäre mehr. In Wahrheit sind wir das, was wir tun und getan haben, und nicht das, was wir immer sein wollen.»
    «Das stimmt nicht», sagte sie. «Es spielt keine Rolle, was wir getan haben oder was wir tun. Worauf es ankommt, ist das, was andere in uns sehen. Wenn du nach einem Sinn suchst, dann lass mich dir einen geben. Für mich wirst du immer ein guter Kerl sein, Gunther. In meinen braunen Augen wirst du immer der Mensch bleiben, der für mich da war, als ich ihn brauchte. Das ist es doch, wonach sich jeder von uns sehnt. Wenn du nach einem Sinn oder einem Zweck suchst, dann sieh mir in die Augen, dort wirst du fündig werden.»
    Ich grinste, mochte ihre unverwüstliche Art. Sie war mit jeder Pore Berlinerin, das merkte man. Wahrscheinlich war sie 1945 bei den Trümmerfrauen gewesen. War vergewaltigt worden und hatte gleich darauf begonnen, die Stadt wieder aufzubauen, wie eine trojanische Prinzessin im Drama eines marmorköpfigen Griechen. Aus demselben Holz geschnitzt wie die deutsche Fliegerin, die für Hitler Raketenflugzeuge geflogen hatte. Ich küsste sie dafür – diesmal richtig –, aber vielleicht tat ich es auch bloß deshalb, weil sie so verführerisch aussah wie ein Paar schwarze Strapse. Wie schön sie war, wenn sie die Augen gebannt auf mich gerichtet hatte. Außerdem wissen es die meisten deutschen Männer zu schätzen, wenn eine Frau aussieht, als hätte sie einen gesunden Appetit. Was nicht heißen soll, dass Elisabeth dick war, nicht mal pummelig, einfach gut gebaut.
    «Du willst bestimmt wissen, ob auf deinen Brief eine Antwort gekommen ist», sagte sie.
    «Genau die Frage brennt mir schon unter den Nägeln.»
    «Gut. Ein bisschen Aufregung kannst du schon vertragen, nachdem du mir zugemutet hast, den hier für dich zu besorgen. Ich hatte noch nie solche Angst.»
    Sie öffnete eine Schublade und nahm einen Brief heraus, den sie mir reichte. «Ich mach uns Kaffee, während du ihn liest.»

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 33 DEUTSCHLAND 1954
    Nach Westen hin lag die Stadt, nach Osten hin gab es nichts als grüne Wiesen, durch deren Mitte die Eisenbahnschienen verliefen. Der Bahnhof, ganz in der Nähe des Durchgangslagers, war wie alle anderen Gebäude in Friedland unscheinbar. Erbaut aus rotem Backstein, hatte er zwei rote Dächer, eigentlich sogar drei, wenn man das Hexenhutdach auf dem quadratischen Eckturm mitzählte, in dem der Bahnhofsvorsteher wohnte. Vor dessen Eingang war ein hübsches Blumenbeet angelegt, und ebenso aparte Blümchengardinen schmückten die beiden Bogenfenster im oberen Stock. Draußen an der Wand hing eine Uhr, vor dem Gebäude stand eine Tafel mit den Fahrplänen, und ein Stück entfernt war eine Bushaltestelle. Alles war adrett und ordentlich und genauso verschlafen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Normalerweise jedenfalls. Heute aber nicht. Die Hauptstadt Westdeutschlands mochte Bonn sein, aber an diesem Tag waren die Augen aller Deutschen auf das niedersächsische Friedland gerichtet. Denn heute brachte ein Zug, der mehr als vierundzwanzig Stunden zuvor in weiter Ferne losgefahren war, eintausend deutsche Soldaten aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurück.
    In der Luft hing gespannte Erwartung, ja Festtagsstimmung. Eine Blaskapelle hatte vor dem Bahnhof Aufstellung genommen und spielte bereits eine Auswahl patriotischer Musikstücke, die auch für die Ohren der Briten, deren Zone das hier war, politisch akzeptabel waren. Von dem Zug war noch nichts zu sehen, doch es hatten sich schon mehrere hundert Menschen an diesem Herbstabend auf dem Bahnsteig und um den Bahnhof herum versammelt, um die Heimkehrer zu begrüßen. Man hätte meinen können, es würde die deutsche Fußballnationalmannschaft nach dem «Wunder von Bern» erwartet

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