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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Nelken nach unten auf die grauen Köpfe warf. «Ist das nicht wundervoll?», sagte sie. «Ich hätte nie gedacht, dass ich die Heimkehr unserer Jungs doch noch erlebe. Deutschlands Herz schlägt in Friedland. Sie sind wieder da. Zurück aus der gottlosen Welt der Bolschewiken.»
    Ich nickte höflich, ließ aber weiter aufmerksam die Augen über die Gesichter in der Menge schweifen.
    «Was für ein Chaos», sagte der Kripobeamte. Möller hieß er. «Wie sollen wir in dem Gedränge jemanden finden? Wenn wieder Spätheimkehrer kommen, lassen wir sie besser vom Bahnhof Herleshausen an der DDR -Grenze mit Bussen herkarren. Dann läuft das Ganze vielleicht halbwegs geordnet ab. Man könnte meinen, wir sind hier in Italien, nicht in Deutschland.»
    «Gönnen Sie ihnen doch das Chaos», sagte ich. «Vierzehn Jahre lang mussten diese Männer strammstehen. Jetzt haben sie die Nase voll davon. Sollen sie doch mal ein bisschen Ungezwungenheit genießen. Dann fühlen sie sich vielleicht schneller wieder wie Menschen.»
    Blumen, Obst, Bonbons, Zigaretten, Schnaps, Kaffee, Umarmungen und Küsse, diese Männer wurden mit allen erdenklichen Zeichen der Zuneigung überschüttet. So viel Freude hatte ich seit Juni 1940 nicht mehr auf einem deutschen Gesicht gesehen. Und mir wurde zweierlei klar: dass allein die Bundesrepublik den Anspruch erheben konnte, die deutsche Nation rechtmäßig zu vertreten; und dass niemand in diesen Männern etwas anderes sah als Helden – egal, welche Verbrechen und Gräueltaten sie in Russland und der Ukraine begangen haben mochten.
    Doch ebenso bewusst wurde mir ein Problem, mit dem ich selbst mich aktuell konfrontiert sah. Denn unter den faltigen, ausgelassenen Männern in der Menge erkannte ich einen aus Johanngeorgenstadt wieder. Einen Berliner namens Walter Bingel, mit dem ich mich im Zug von dem NKWD -Gefängnis in der Nähe von Stalingrad angefreundet hatte. Dieser Bingel hatte beobachtet, wie ich in einer Zim-Limousine aus dem Lager fuhr, in Begleitung zweier deutscher Kommunisten vom K5, und zweifelsohne vermutet, ich hätte mit ihnen ein Geschäft gemacht, um meine Haut zu retten. Und wenn Bingel in dem Zug war, dann waren sehr wahrscheinlich auch noch andere aus Johanngeorgenstadt mitgekommen, die dieselbe Erinnerung an mich hatten. Gut möglich, dass Kommissar Möller vielleicht auch mich festnehmen musste.
    Vigées scharfe Augen sahen, wie mein Blick nervös auf Bingels Gesicht verharrte. «Haben Sie wen erkannt?», fragte er.
    «Bisher nicht», log ich. «Aber ehrlich gesagt, die Männer sehen alle Jahre älter aus, als sie sind. Ich bin nicht mal sicher, ob ich meinen eigenen Bruder da unten erkennen würde. Wenn ich einen hätte.»
    «Na, das ist ja dann gut für uns, oder?», sagte der Franzose. «Ein Mann, der die letzten sechs oder sieben Jahre für den NKWD gearbeitet hat, müsste sich ja von den anderen da unten abheben. Schließlich gibt sich de Boudel nur als Kriegsgefangener aus. Der war ja in Wahrheit gar nicht im Arbeitslager wie die da.»
    Ich nickte. Der Franzose hatte recht.
    «Können wir einen Durchschlag von der Namensliste haben, die das Rote Kreuz aufgestellt hat?», fragte ich.
    Vigée nickte Möller zu, der losging, um das Gewünschte zu holen. «Dennoch», sagte er, «ich glaube kaum, dass er seinen richtigen Namen benutzt, Sie etwa?»
    «Nein, natürlich nicht. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Am Anfang einer jeden Polizeiarbeit steht eine Liste von irgendwas, selbst wenn darauf nur all das steht, was man noch nicht weiß. Das ist manchmal genauso wichtig wie das, was man schon weiß. So simpel sind die Methoden der Polizeiarbeit, aber sie ist trotzdem nicht einfach.»
    «Ganz ruhig», sagte Vigée. «Wir haben immer gewusst, dass die Chance, de Boudel gleich am Bahnhof zu erwischen, eher gering sein würde. Morgen im Lager, nach dem Aufstehen, darauf baue ich.»
    «Ja, da könnten Sie recht haben», sagte ich.
    Wir sahen, wie Möller sich durch das Gedränge zu einem Rotkreuzmitarbeiter kämpfte. Er sagte irgendwas, und der andere nickte.
    «Wo haben Sie den aufgetrieben?», fragte ich.
    «Göttingen», sagte Vigée. «Wieso?» Er zündete sich eine Zigarette an und schnippte das Streichholz auf die Köpfe der Männer unten, als wollte er seine Verachtung für sie zeigen. «Haben Sie was an ihm auszusetzen?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Vielleicht ist er kein Polizist Ihres Kalibers, Gunther.» Vigée pustete die Wangen auf und seufzte. «Aber er soll ja auch

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