Mission Walhalla
ehe er sich seelenruhig wieder an seinen Schreibtisch in Berlin setzte. Sie haben es selbst gesagt, er war ein überzeugter Nazi. Aber als die Briten ihn 1945 schnappten, hat er gesungen wie ein Kanarienvogel. Für sie und für uns. Er war gar nicht zu bremsen. Verstanden hat das keiner. Wir haben ihn nicht dazu gezwungen, und es gab keine Absprachen und kein Angebot, ihm Strafmilderung zu gewähren. Anscheinend wollte er sich einfach nur alles von der Seele reden. Warum folgen Sie nicht seinem Beispiel? Ohlendorf hat auf demselben Stuhl gesessen, auf dem Sie jetzt sitzen, und er hat geredet wie ein Wasserfall, zweiundvierzig Tage lang. Er war ganz sachlich. Er hat nicht geweint und keine Anstalten gemacht, sich zu entschuldigen, aber ich schätze, da war irgendwas in seiner Seele, das ihm einfach keine Ruhe ließ.»
«Ein paar von den Jungs hier fanden ihn richtig nett», sagte Earp. «Bis zum Schluss, als wir ihn aufgehängt haben.»
Ich schüttelte den Kopf. «Mit Verlaub, Sie machen mir die Idee, mein Herz zu erleichtern, nicht gerade schmackhaft, wenn der Himmelslohn das Einzige sein soll, was ich dafür bekomme. Und ich dachte, die Amerikaner könnten einem alles verkaufen.»
«Ohlendorf war auch einer von Heydrichs Schützlingen», fuhr Silverman fort.
«Wieso auch?»
«Sie haben selbst gesagt, dass Heydrich persönlich Sie 1938 zurück zur Kripo geholt hat. Wie soll ich das Ihrer Meinung nach interpretieren, Gunther?»
«Er brauchte einen erfahrenen Kriminalbeamten, der gut Morde aufklären konnte, nicht irgendeinen Nazi, der sein antisemitisches Hühnchen rupfen wollte. Als ich zurück zur Kripo kam, hatte ich mir aberwitzigerweise vorgenommen, zu verhindern, dass weiter junge Mädchen ermordet wurden.»
«Aber danach –»
«Sie meinen, nachdem ich den Fall gelöst hatte?»
«– haben Sie weiter für die Kripo gearbeitet. Auf Geheiß von Obergruppenführer Heydrich.»
«Ich hatte da wirklich nicht viel Mitspracherecht. Heydrich war ein Mann, den man besser nicht enttäuschte.»
«Aber warum wollte er gerade Sie?»
«Heydrich war ein eiskaltes mordlüsternes Schwein, aber er war auch Pragmatiker. Manchmal war ihm Ehrlichkeit wichtiger als hingebungsvolle Loyalität. Es gab ein paar wenige, und zu denen zählte ich, bei denen es nicht von Bedeutung war, ob sie sich an die offizielle Parteilinie hielten, solange sie ihre Arbeit gut machten. Vor allem, wenn diese Leute, genau wie ich, keinerlei Interesse hatten, die SS -Leiter hochzuklettern.»
«Was für ein Zufall. Genauso hat Otto Ohlendorf sein Verhältnis zu Heydrich beschrieben», sagte Earp. «Und Jost auch. Heinz Jost. Vielleicht erinnern Sie sich. Das war der Mann, den Heydrich zum Nachfolger von Ihrem Freund Franz Walter Stahlecker ernannte, dem Befehlshaber der Einsatzgruppe A, der von estnischen Partisanen getötet worden war.»
«Walter Stahlecker und ich sind nie Freunde gewesen. Wie kommen Sie denn auf die Schnapsidee?»
«Er war doch der Bruder Ihres Geschäftspartners, oder? Mit dem Sie 1937 eine Privatdetektei in Berlin betrieben haben.»
«Seit wann muss sich ein Bruder für das Verhalten des anderen verantworten? Bruno und Walter Stahlecker waren wie Feuer und Wasser. Bruno war nicht mal ein Nazi.»
«Aber Sie haben Walter Stahlecker doch bestimmt kennengelernt.»
«Er kam zu Brunos Beerdigung. Das war 1938.»
«Gab es noch andere Begegnungen?»
«Wahrscheinlich. Aber ich weiß nicht mehr genau, wann.»
«War das, bevor er zweihundertfünfzigtausend Juden ermordete, oder danach?»
«Danach war es ganz sicher nicht. Und ganz nebenbei, er wurde Franz Stahlecker genannt, niemals Walter. Bruno hat nie Walter zu ihm gesagt. Aber lassen Sie uns nochmal kurz auf diesen Heinz Jost zurückkommen. Den Mann, der nach Franz Stahleckers Tod die Einsatzgruppe A übernahm. Ist das vielleicht derselbe Heinz Jost, den man zu lebenslanger Haft verurteilt hat und der dann vor zwei Jahren hier aus Landsberg entlassen wurde? Meinen Sie den?»
«Wir sind bloß für die Anklage zuständig», sagte Silverman. «Die Entscheidung, wer wann auf freien Fuß gesetzt wird, liegt beim US -Hochkommissar für Deutschland.»
«Und wie ich höre», sagte ich, «hatte letzten Monat Willi Seibert das Vergnügen, freigelassen zu werden. Bitte korrigieren Sie mich, falls ich falschliege, aber war er nicht Otto Ohlendorfs Stellvertreter? Als die neunzigtausend Juden ermordet wurden? Neunzigtausend, und ihr lasst den Mann einfach hier rausspazieren. Ich
Weitere Kostenlose Bücher