Mission Walhalla
dass er vermutlich recht hatte.
Nebe schmunzelte gedankenverloren und begann, an den Fingernägeln zu kauen, die, wie ich jetzt sah, bereits bis aufs Fleisch abgenagt waren.
«Ich wünschte, ich könnte das lassen», sagte er. «Meine Mutter hat mir früher die Finger in Katzenscheiße getunkt, damit ich damit aufhörte. Hat nicht viel genützt, was?»
«Du hast immer noch Scheiße an den Fingern, Arthur.»
«Wahrscheinlich war ich nicht weniger naiv als du. Und zwar in Bezug auf dich. Du musst raus aus Minsk, ehe du anfängst, dein dummes Maul aufzureißen, sobald ich nicht in der Nähe bin, um dich daran zu hindern. Sonst wirst du am Ende verhaftet. Und ich womöglich auch. Mal überlegen. Für den Dienst an vorderster Front bist du zu alt, dafür würden sie dich nicht nehmen. Das fällt also schon mal weg.» Er seufzte. «Sieht ganz so aus, als käme nur der Abwehrdienst in Frage. Dumm genug bist du dafür jedenfalls. Die werden natürlich glauben, dass du ein Spion bist, daher kann das nur eine Übergangslösung sein. Bis mir was einfällt, um dich sicher zurück nach Berlin zu schaffen, wo du keinen Schaden anrichten kannst.»
«Bitte keine Begünstigung», sagte ich. «Ich komm allein zurecht.»
«Nein, kommst du nicht. Das versuche ich dir doch die ganze Zeit klarzumachen.» Er zeigte auf mein Glas. «Na los. Runter damit und dann Kopf hoch. Und hör auf, dir Gedanken wegen ein paar Juden zu machen. Juden sind verfolgt worden, seit Kaiser Claudius ihre Vertreibung aus Rom befahl. Wie sagte Luther? Dass Gott nächst dem Teufel keinen bittereren, giftigeren, heftigeren Feind hat als einen rechten Juden. Und Kaiser Wilhelm nicht zu vergessen, der meinte, dass ein Jude kein wahrer Patriot sein kann; dass er nun mal anders ist, wie ein schädliches Insekt. Selbst Benjamin Franklin hielt die Juden für Vampire.» Nebe schüttelte den Kopf und lächelte. «Nein, Bernie. Such dir lieber einen anderen Grund aus, die Nazis zu hassen. Deren gibt es reichlich. Aber nicht die Juden. Nicht die Juden. Wer weiß, wenn es in Europa genug Pogrome gibt, bekommen sie vielleicht ihr blödes Heimatland, das ihnen dieser britische Vollidiot Balfour versprochen hat, und dann lassen sie den Rest der Welt endlich in Ruhe.»
Ich trank den Schnaps. Den hatte ich nun bitter nötig. Menschen sagen die verrücktesten Sachen, wenn sie was getrunken haben – da bin ich keine Ausnahme. Sie reden plötzlich über Gott und die Heiligen und hören Stimmen und sehen Teufel. Sie grölen rum, dass sie den Franzmann und den Tommy abschießen werden, und singen mitten im Sommer Weihnachtslieder. Sie jammern, dass ihre Ehefrauen sie nicht verstehen und ihre Mütter sie nie geliebt haben. Sie sagen schwarz ist weiß, oben ist unten, und heiß ist kalt. Keiner trinkt, um sinnvolles Zeug von sich zu geben. Arthur Nebe hatte einige Schnäpse intus, aber er war nicht betrunken. Trotzdem klang das, was er gesagt hatte, verrückter als alles, was ich je von einem Betrunkenen gehört hatte, und hoffentlich auch verrückter als alles, was ich je hören werde.
Ich blieb einige Tage im Leninhaus, wo ich im siebten Stock eine Unterkunft mit Waldemar Klingelhöfer teilte, dem SS -Sturmbannführer, der die Bekämpfung der Partisanen rund um Minsk leitete.
Minsk war einer der Orte, an dem die Widerstandskraft der Partisanen tatsächlich genauso ausgeprägt war, wie es die deutsche Propaganda behauptete. Sie machten sich die
puschtscha
zunutze, die weiten, dichten Wälder, die für die Gegend typisch waren. Bei den meisten Kämpfern handelte es sich um junge Rotarmisten, doch es waren auch viele Juden unter ihnen, die auf der Flucht vor den Pogromen Schutz in den Wäldern suchten. Was hatten sie auch zu verlieren? Dabei wurden sie keineswegs mit offenen Armen aufgenommen: Manche Weißrussen waren genau solche Antisemiten wie die Deutschen, und über die Hälfte dieser Juden wurde von den Russkis umgebracht.
Klingelhöfer war in Moskau geboren und sprach daher fließend Russisch, aber er verstand nichts von Polizeiarbeit oder der Jagd auf Partisanen. Echte Partisanen. Ich gab ihm ein paar Ratschläge, wie man Informanten rekrutiert.
Aber meine guten Ratschläge konnten nicht mehr viel bewirken, denn Ende Juli wurde Klingelhöfer von Nebe nach Smolensk geschickt, wo er Pelze für die Winterbekleidung der deutschen Armee besorgen sollte. Und ich wurde nach Baranawitschy beordert, rund hundertfünfzig Kilometer südwestlich von Minsk, wo ich meinen
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