Mission Walhalla
Ein Sozialfaschist. Sie hassen uns noch mehr, als Sie die Nazis hassen.»
«Das haben Sie gut erkannt. In Wahrheit hab ich Ihnen vorhin auch nur aus der Patsche geholfen, damit Sie vor Scham sterben, wenn Sie Ihren linken Freunden beichten müssen, dass Ihr Retter ein Bulle war, der obendrein Anhänger der SPD ist. Noch lieber wäre mir allerdings, wenn man Sie aufhängt wie Judas Ischariot, weil Sie als Roter die Bewegung verraten haben, indem Sie die Hilfe eines Republikaners angenommen haben.»
«Wer sagt denn, dass ich das überhaupt irgendwem erzähle?»
«Richtig, warum sollten Sie? Ihre Lüge fiele doch unter den unzähligen Lügen der KPD gar nicht auf.» Ich schüttelte den Kopf. «Vor uns liegt ein mieses, verlogenes Jahrzehnt, wenn Sie mich fragen.»
«Glauben Sie nicht, ich wäre undankbar», sagte Mielke. «Im Gegenteil. Wenn Sie nicht gewesen wären, hätten mir diese Drecksäcke mit Sicherheit die Kehle aufgeschlitzt. Die wollten mich umbringen, weil ich Lokalreporter bei der
Roten Fahne
bin. Ich schreibe gerade einen Artikel über die Arbeiter in der Laubenkolonie Felseneck.»
«Ja, ja. Brüderlichkeit und der ganze Scheiß.»
«Glaubt ein Polyp wie Sie etwa nicht an Bruderliebe?»
«Brüderlichkeit ist den Menschen schnurzegal. Die wollen einfach jemanden haben, den sie lieben können und der sie zurückliebt. Alles andere ist Schwachsinn. Die meisten würden die Schlüssel zum Arbeiterparadies bereitwillig abgeben, wenn sie dafür die Chance bekämen, um ihrer selbst willen geliebt zu werden – nicht weil sie Deutsche sind oder Arbeiter oder Arier oder Proletarier. Kein Schwein glaubt ernsthaft an irgendwelche euphorischen Träume, die auf Büchern oder Visionen aufbauen. Sie glauben an ein nettes Wort, den Kuss einer schönen Frau, einen Ring am Finger, ein glückliches Lächeln. Daran wollen die Menschen glauben.»
«Sentimentaler Quatsch», höhnte Mielke.
«Kann sein», sagte ich.
«Das ist das Problem mit euch Demokraten. Ihr redet so einen unsäglichen Mist daher. Wir haben keine Zeit für so ein Geschwafel. Irgendwann können Sie solche Reden nur noch auf dem Friedhof schwingen, wenn Sie und Ihre Klasse nicht bald aufwachen. Hitler und den Nazis ist völlig egal, was die Menschen Ihrer Meinung nach brauchen. Denen geht’s ausschließlich um Macht.»
«Und das wäre anders, wenn wir in einem erbärmlichen Arbeiterstaat von Stalin herumkommandiert würden, oder was?»
«Sie klingen genau wie Trotzki», sagte Mielke.
«Ist der auch Sozialdemokrat?»
«Er ist Faschist», sagte Mielke.
«Was so viel heißt wie, er ist kein wahrer Kommunist.»
«Genau.»
Auf der Fahrt zurück nach Berlin-Mitte fuhren wir über die Bismarckstraße. Als kurz vor dem Tiergarten eine Straßenbahn hielt, fuhr Mielke herum und rief: «Da ist Elisabeth.»
Ich hielt den Wagen an, und Mielke winkte eine attraktive Brünette heran. Als sie sich ans Wagenfenster lehnte, nahm ich deutlich einen stechenden Schweißgeruch wahr, aber es war ein heißer Tag, und ich nahm es ihr nicht übel. Mir selbst war auch ziemlich warm.
«Was machst du denn hier?», fragte Mielke.
«Ich hab einer Kundin ein Kleid angepasst. Sie ist Schauspielerin am Schillertheater.»
«Den Job hätte ich auch gern», sagte ich.
Die Brünette lächelte mich an. «Ich bin Näherin.»
«Elisabeth, dass ist Kommissar Gunther, vom Polizeipräsidium.»
«Erich, steckst du etwa in Schwierigkeiten?»
«Um ein Haar, wenn der Kommissar nicht den Helden gespielt hätte. Er hat ein paar Nazis verscheucht, die dabei waren, mich fertigzumachen.»
«Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?», fragte ich die Brünette, um das Thema zu wechseln.
«Gern, Sie könnten mich in der Nähe vom Alex absetzen», sagte sie.
Sie stieg hinten ein, und wir fuhren weiter, die Berliner Straße runter über den Landwehrkanal und durch den Park. Zunächst war ich neidisch, weil ich vermutete, dass die Brünette mit Mielke ein Verhältnis hatte, und irgendwie stimmte das auch, aber nicht im landläufigen Sinne. Sie war eine gute Freundin von Mielkes verstorbener Mutter Lydia gewesen, ebenfalls eine Näherin. Nach deren Tod hatte sie Mielkes verwitwetem Vater, der mit vier Kindern allein dastand, unter die Arme gegriffen. Folglich sah Erich Mielke in Elisabeth eher eine große Schwester, was mir nur recht war. In jenem Jahr stand ich auf Brünette, und ich nahm mir auf der Stelle vor, sie wenn irgend möglich wiederzusehen.
Zehn Minuten später erreichten wir Erich
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