Mission Walhalla
möchten, dass Sie es unterschreiben, Gunther.»
«Sagten Sie nicht, Silverman und Earp haben mir einen Freifahrtschein gegeben?»
«Richtig. Aber nicht ohne Netz und doppelten Boden. Wir brauchen doch eine Versicherung, damit Sie uns über Erich Mielke die Wahrheit erzählen.»
«Anders ausgedrückt, wir haben Sie in der Hand, Gunther.»
«Was steht in dem Geständnis?»
«Spielt das eine Rolle?»
Er hatte recht. Sie könnten sagen, was sie wollten, und ich würde es schlucken müssen. «Na schön. Ich unterschreibe.»
«Das haben Sie jetzt aber geschmeidig weggesteckt.»
«Ich bin früher im Zirkus als Schlangenmensch aufgetreten. Aber jetzt bin ich müde. Ich will bloß noch nach Hause und meinen biegsamen Körper ausruhen.»
«Wie wär’s mit einer anderen Nummer? Als Gedächtniswunder.»
«Sie haben mir noch nicht gesagt, warum Sie sich so für Mielke interessieren», sagte ich. «Was bedeutet, dass ich nicht weiß, was ich erzählen und was ich weglassen soll.»
«Alles», sagte der andere. «Wir wollen alles wissen. Jede Einzelheit. Auf das Warum kommen wir später.»
«Wollen Sie den ganzen Levitikus hören? Oder bloß das, was Mielke betrifft?»
«Fangen wir ganz vorne an. Am Anfang.»
«Also die Genesis. Kein Problem. Am Anfang lag Finsternis über Berlin. Für mich jedenfalls. Und Walter Ulbricht sprach, es gebe kommunistische Schlägertrupps. Und Adolf Hitler sprach, es gebe auch Nazi-Schlägertrupps. Und Kanzler Brüning sprach, die Bullen mögen versuchen, beide Seiten auseinanderzuhalten. Und Gott sprach, gebt doch den Bullen eine etwas leichtere Aufgabe. Denn jeder Abend und jeder Morgen brachte immer dasselbe: Probleme. Und der Name des Flusses war Spree, und wir fischten jeden Tag Leichen heraus. Mal einen Kommunisten, mal einen Nazi. Und manche Männer sahen dies und sagten, dass es gut war. Solange sie sich gegenseitig umbringen, ist doch alles in Ordnung, oder? Ich dagegen glaubte an die Republik und an das Gesetz. Aber viele Polizisten waren Nazis und schämten sich dessen nicht. Man könnte sagen, dass Berlin und Deutschland von da an am Ende waren, mit ihrem ganzen Heere.» Ich seufzte. «Im Ernst: Ich kann mich nun mal nicht an alles erinnern. Wussten Sie nicht, dass das Vergessen die liebste Freizeitbeschäftigung von uns Deutschen ist?»
«Aber jetzt müssen Sie sich erinnern.»
«Geben Sie mir ein wenig Zeit. Das ist alles dreiundzwanzig Jahre her. So was spuckt man nicht einfach aus wie eine Fischgräte, die im Hals quer steckt.»
«Wir befinden uns im Jahr 1931.»
«Ein Unglücksjahr für Deutschland. Es gab, mal überlegen, wie viele? Fast fünf Millionen Arbeitslose. Und eine Bankenkrise. Die Österreichische Creditanstalt war bankrottgegangen, ich glaube zwei Wochen vorher. Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Das war am 11. Mai. Wir standen vor dem Ruin. Darauf hatten die Nazis nur gewartet, glaube ich. Um sich die Situation zunutze zu machen. Ja, die Lage war schlecht. Aber nicht für Mielke. Ihm standen bessere Zeiten bevor. Sind meine beiden Sekretärinnen bereit zum Diktat?»
«Wir sind ganz Ohr, Mr. Gunther.»
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Kapitel 11 DEUTSCHLAND 1931
Es war Samstag, der 23. Mai. Das weiß ich so genau, weil es mein Geburtstag war. Man vergisst seinen Geburtstag nicht so leicht, wenn man gezwungen ist, ihn im Gefängnis Tegel zu verbringen. Dort war ich, um einen der Männer zu verhören, die im Edenpalastprozess verurteilt worden waren. Einen SA -Sturmmann namens Konrad Stief. Er war noch richtig grün hinter den Ohren, gerade mal zweiundzwanzig, zweimal vorbestraft wegen Gelegenheitsdiebstahls und im vorangegangenen Frühjahr in die SA eingetreten. Für die letzten Jahre der Weimarer Republik war das eine ziemlich typische Berliner Geschichte: Am 22. November 1930 waren Stief und drei andere Kerle aus dem SA -Sturm 33 in ein Tanzlokal gegangen. Daran war ja nichts Verbotenes, allerdings hatten sie nicht vor, da den Lindy Hop zu tanzen. Und anstatt sich ordentlich die Haare zu kämmen und eine schicke Krawatte umzubinden, klemmten sie sich ein paar Pistolen unter den Arm. Sie müssen wissen, der Edenpalast war das Stammlokal eines kommunistischen Wandervereins. Anders als Sie vielleicht denken, machte der kommunistische Wanderverein dort genau das, was alle in einem Tanzlokal machten: Sie tanzten. Aber nicht in jener Nacht. Jedenfalls, als die Nazis dort ankamen, marschierten sie gleich nach oben und eröffneten das Feuer. Einige fröhliche
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