Mission Walhalla
Wandersleute wurden getroffen und zwei von ihnen schwer verletzt. Wie gesagt, es war eine typische Berliner Geschichte, und ich könnte mich wohl kaum so gut daran erinnern, wenn der Edenpalastprozess am Berliner Kriminalgericht in Moabit nicht so ungewöhnlich verlaufen wäre. Die Nebenklage vertrat nämlich ein Mann namens Hans Litten, der Hitler in den Zeugenstand rief und ihn hinsichtlich seiner Verbindung zur SA und ihrer brutalen Methoden ins Kreuzverhör nahm. Hitler, der sich gern als mustergültiger Anhänger von Recht und Ordnung gab, mochte das nicht und schon gar nicht Herrn Litten, der zufälligerweise auch noch Jude war. Wie dem auch sei, die vier wurden verurteilt, Stief bekam zweieinhalb Jahre in Tegel aufgebrummt, und gleich am nächsten Tag fuhr ich hin, um herauszufinden, ob er mir vielleicht helfen konnte, Licht in einen anderen Fall zu bringen. Dabei ging es um den Mord an einem SA -Mann, der mit derselben Waffe erschossen worden war, die Stief im Edenpalast benutzt hatte. Und ich fragte mich: War der SA -Mann von Kommunisten getötet worden, weil er in der SA war? Oder, was mir zunehmend wahrscheinlicher erschien, hatten die Nazis ihn ermordet, weil er ein Kommunist war, der auf den Sturm 33 angesetzt worden war, um ihn auszuspionieren?
Irgendwann bekam ich aus Stief einen Namen heraus und die Stammkneipe des Sturms 33. Reisigs Kantine in der Hebbelstraße in Charlottenburg. Nicht allzu weit vom Edenpalast entfernt. Ich beschloss, gleich von Tegel aus hinzufahren und mich ein bisschen umzuschauen. Als ich dort ankam, stieg gerade ein Trupp SA -Männer auf einen Lastwagen. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet und offensichtlich in tödlicher Mission unterwegs. Es blieb keine Zeit, Verstärkung zu rufen, und weil ich dachte, dass ich dieses eine Mal vielleicht einen Mordfall verhindern könnte, statt zu ermitteln, nachdem er passiert war, heftete ich mich an ihre Fersen.
Das klingt vielleicht, als sei ich besonders mutig oder tollkühn gewesen, das stimmt aber nicht. Damals hatten viele Polizisten statt einer Pistole eine Bergmann MP 18 im Kofferraum. Eine Neun-Millimeter-Maschinenpistole, die bestens dafür geeignet war, Dreck von der Straße zu fegen. Ich folgte also dem Trupp bis zur Laubenkolonie Felseneck in Reinickendorf, einer Hochburg der Kommunisten. Die Roten bauten dort in Schrebergärten eigenes Gemüse an, was für viele von ihnen in der schlechten Wirtschaftslage überlebenswichtig war. Einige wohnten auch dort. Sie hatten eigene Wachen, die vor Nazi-Übergriffen warnen sollten, aber die waren nicht auf dem Posten. Entweder sie waren abgehauen oder gewarnt worden, oder vielleicht steckten sie sogar mit den Angreifern unter einer Decke.
Jedenfalls, als ich dort ankam, hatten die Nazis bereits begonnen, einen jungen Burschen von Anfang oder Mitte zwanzig zusammenzuschlagen. Ich sah ihn zunächst gar nicht in dem Getümmel von Sturmmännern, die über ihn herfielen wie eine Meute Hunde. Wahrscheinlich hatten sie vor, den Jungen erst windelweich zu prügeln, ihn dann irgendwohin zu schleppen und ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, ehe sie seine Leiche entsorgten. Ich feuerte mit der Bergmann eine Salve über ihren Köpfen ab und forderte sie auf, wieder auf ihren Laster zu klettern. Es waren zu viele, um sie alle festzunehmen, daher ließ ich sie abhauen. Dem Jungen sagte ich, er solle in mein Auto steigen, ich würde ihn irgendwo absetzen. Irgendwo, wo es sicherer war. Er bedankte sich und bat mich, ihn zum Bülowplatz zu bringen, und erst da hatte ich Gelegenheit, mir Erich Mielke genauer ansehen. Im Auto, auf dem Weg in die Stadt.
Er war dreiundzwanzig, knapp einen Meter siebzig groß, kräftig mit vollem, welligem Haar, und er kam aus Wedding, glaube ich. Außerdem war er zeit seines Lebens Kommunist gewesen, wie sein Vater, der Tischler war. Und er hatte zwei jüngere Schwestern und einen Bruder, die auch in der KPD waren. Jedenfalls erzählte er mir das.
«Dann hat der Volksmund also recht», sagte ich zu ihm. «Wahnsinn liegt in der Familie.»
Er grinste. Damals hatte Mielke noch Sinn für Humor. Das war, ehe die Russen ihm den ausgetrieben haben. Wenn es um Marx, Engels und Lenin ging, hatte man mit ihnen nicht gut lachen.
«Was hat das mit Wahnsinn zu tun?», fragte er. «Die KPD ist die größte kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion.» Er musterte mich. «Sie sind kein Nazi, so viel ist klar. Wahrscheinlich Sozialdemokrat.»
«Stimmt.»
«Dachte ich mir.
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