Mission Walhalla
mir persönlich was daran, dass er verhaftet wurde. Die Hamburger Kollegen hatten schon Wind davon bekommen, dass Ziemer und Mielke gesucht wurden. Im Präsidium am Alex gab es ein Leck, und als Kestner und ich in Hamburg ankamen …»
«Kestner?»
«Ja. Er war bei der Politischen Polizei. Kriminalmeister. Kestner und ich waren alte Freunde. Später, als die Nazis im März 1933 die Wahlen gewannen, trat er in die Partei ein. Das machten viele. Märzveilchen oder Märzgefallene nannten wir sie. Jedenfalls, danach war unsere Freundschaft zu Ende.
Erst später erfuhr ich, dass Mielke und Ziemer von Agenten der Komintern nach Antwerpen gebracht worden waren. Sie bekamen falsche Pässe und wurden als Besatzungsmitglieder auf ein Schiff nach Leningrad geschleust. Von dort ging es für sie weiter nach Moskau, wo sie bei der GPU , Stalins Geheimpolizei, ausgebildet wurden.»
«Dann gab es in der Berliner Polizei also nicht nur Nazis, sondern auch Kommunisten.»
«Ja, einige. Der mittlerweile verstorbene Eldor Borck, ein Polizeimajor, mit dem ich auf freundschaftlichem Fuß stand, schätzte, dass zehn Prozent der Berliner Polizei mit den Bolschewiken sympathisierten. Aber es gab nie rote Schupo-Zellen, wie die Nazis das behaupteten. Die meisten Polizisten waren von Haus aus Konservative. Eher instinktive Faschisten als ideologische. Jedenfalls, Ziemer und Mielke verbrachten die folgenden fünf Jahre in Russland.»
«Woher wissen Sie das?»
«Darauf komme ich später. Selbstverständlich ließen sich die Nazis nicht davon abhalten, Exempel zu statuieren, da war es fast egal, dass uns die Mörder von Anlauf und Lenck entwischt waren. Festnahmen und Verurteilungen waren für sie gute Propaganda.»
«Sie ließen andere Kommunisten büßen?»
«Natürlich. Und es ist ja auch unbestreitbar, dass Ziemer und Mielke nicht allein handelten. Es sprach sogar einiges dafür, dass der ganze Aufruhr auf dem Bülowplatz nur veranstaltet wurde, um Anlauf und Wachtmeister Willig in eine Falle zu locken. Wie schon gesagt, die beiden waren den Kommunisten zutiefst verhasst. Lenck war mehr oder weniger ein Unfall. Zur falschen Zeit am falschen Ort.
Kurz nachdem ich den Polizeidienst quittiert hatte, um im Hotel Adlon zu arbeiten, gab es eine weitere Festnahme. Ein Bursche namens Max Thunert. Höchstwahrscheinlich haben sie ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und ihn sanft überredet, Namen zu nennen. Und er nannte viele Namen. Im Juni 1933 wurden fünfzehn Männer vor Gericht gestellt, darunter einige prominente Kommunisten. Wer weiß? Vielleicht waren Mielke und Ziemer von einigen von ihnen tatsächlich zu den Morden angestiftet worden.
Vier wurden zum Tode verurteilt. Elf kamen ins Konzentrationslager. Aber erst zwei Jahre später wurden drei der Todesurteile vollstreckt. Das war typisch für die Nazis. Einen Menschen jahrelang auf seine Hinrichtung warten zu lassen. In Sachen Grausamkeit könntet sogar ihr Ami-Schweine noch einiges von den Nazis lernen. Es wurde natürlich in allen Zeitungen darüber berichtet. Mai 1935? Ich hab vergessen, wie die hießen, die unters Fallbeil kamen. Aber ich hab mich oft gefragt, wie sich Mielke und Ziemer, die in Moskau in Sicherheit waren, dabei fühlten. Wie viel man ihnen überhaupt erzählte. Kurioserweise kam Stalin im selben Monat, also im Mai 1935, zu dem Schluss, dass einigen der vielen deutschen und italienischen Kommunisten, die sich nach Moskau geflüchtet hatten, als Hitler und Mussolini an die Macht kamen, nicht mehr zu trauen war. Zu wenig Einheit, zu viele Splittergruppen. Zu viele Trotzkisten. Ich vermute, Mielke und Ziemer haben sich größere Sorgen darum gemacht, was aus ihnen werden würde, als darum, was alten Genossen wie Max Matern widerfuhr. Genau, jetzt fällt’s mir wieder ein. Er war einer von denen, die hingerichtet wurden.
In Moskau waren die meisten deutschen Kommunisten in einem Komintern-Hotel namens Hotel Lux untergebracht. Bei einer Säuberungsaktion wurden einige der bekannteren deutschen Kommunisten erschossen: Kippenberger, Neumann – ausgerechnet die Männer, die die Ermordung von Anlauf und Lenck angeordnet hatten. Kippenbergers Frau kam in ein sowjetisches Arbeitslager und ward nie mehr gesehen. Auch Neumanns Frau kam in ein Arbeitslager, aber sie hat überlebt. Zumindest bis zum Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin 1939. Dann wurde sie nämlich an die Gestapo ausgeliefert. Ich hab keine Ahnung, was danach aus ihr geworden ist.»
«Sie sind
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