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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Sie sagen das, als sollte ich von Ihrer Gastfreundschaft begeistert sein. Das ist das Problem mit euch Amis. Ihr macht Leute nach Strich und Faden fertig, und dann erwartet ihr, dass sie mit euch zusammen eure Nationalhymne singen.»
    «Sie müssen nicht singen, Gunther», sagte der Ami mit der Pfeife. Wollte er die denn nie anmachen? «Jedenfalls nicht die Nationalhymne. Erzählen Sie einfach weiter, wie bisher.» Er warf ein Päckchen Zigaretten auf den Tisch, an dem Hitler sein Erfolgsbuch geschrieben hatte. «Übrigens. Was ist aus dem Wachtmeister geworden, der von Ziemer und Mielke eine Kugel in den Bauch bekommen hatte?»
    «Willig?» Ich zündete mir eine Zigarette an und überlegte kurz. Er hatte überlebt und war drei Monate nach der Schießerei zum Polizeileutnant befördert worden. «Hab ich vergessen.»
    «Im September 1938 fingen Sie wieder bei der Kripo an, richtig?»
    «Allerdings nicht freiwillig», sagte ich. «Ich wurde von Obergruppenführer Heydrich zurückbeordert. Um eine Mordserie in Berlin aufzuklären. Nachdem der Fall gelöst war, blieb ich. Wieder auf Wunsch von Heydrich. Von diesem Mann muss man eines wissen: Er bekam immer, was er wollte.»
    «Und er wollte Sie.»
    «Ich stand in dem Ruf, gute Arbeit zu leisten. Das bewunderte er.»
    «Also blieben Sie.»
    «Eigentlich wollte ich endgültig weg von der Kripo. Aber Heydrich hat es mir mehr oder weniger unmöglich gemacht.»
    «Erzählen Sie. Was Sie für Heydrich gemacht haben.»
    «Die Kripo war Teil der Sipo, der Sicherheitspolizei. Ich wurde zum Oberkommissar befördert. Die meisten Verbrechen waren mittlerweile politischer Natur, aber es kam weiterhin vor, dass Männer ihre Frauen ermordeten, und Berufskriminelle gingen weiter ihrer Arbeit nach. In der Zeit leitete ich einige Ermittlungen, aber in Wahrheit ging es den Nazis kaum darum, das Verbrechen auf althergebrachte Art zu bekämpfen. Sie verringerten einfach die Verbrechensquote, indem sie alljährlich irgendwelche Amnestien verkündeten, sodass die meisten Straftaten gar nicht mehr vor Gericht kamen. Die Nazis wollten nur behaupten können, dass die Zahl der Verbrechen zurückgegangen war. In Wahrheit gab es unter den Nazis mehr Straftaten – mehr echte Straftaten – als zuvor: Diebstahl, Mord, Jugendkriminalität, all das nahm zu. Ich machte am Alex weiter wie gehabt. Ich nahm Leute fest, erledigte den erforderlichen Papierkram, übergab die Akten der Staatsanwaltschaft, und nach einiger Zeit wurden die Fälle dann abgeschmettert oder fallengelassen und der Angeklagte wieder auf freien Fuß gesetzt.
    Eines Tages, das war im September 1939, kurz nach der Kriegserklärung und als die Sipo schon Teil des Reichssicherheitshauptamtes war, suchte ich Obergruppenführer Heydrich in der Prinz-Albrecht-Straße auf. Ich erklärte ihm, dass meine Arbeit Zeitverschwendung sei, und bat um die Erlaubnis, meine Kündigung einzureichen. Er hörte sich alles mit ausdrucksloser Miene an, und nachdem ich fertig war, schrieb er seelenruhig etwas auf ein Blatt Papier, ehe er den Blick auf einen Ständer mit Stempeln auf seinem Schreibtisch richtete. Es waren bestimmt dreißig oder vierzig. Er wählte einen aus, drückte ihn auf ein Stempelkissen und stempelte behutsam das Blatt ab, das er beschrieben hatte. Dann stand er noch immer wortlos auf, um seine Bürotür zu schließen. In der Mitte des Raums stand ein Flügel – ein wuchtiger schwarzer Blüthner –, und zu meiner Verwunderung setzte sich Heydrich an das Instrument und fing an zu spielen, ziemlich gut sogar, muss ich sagen. Während er spielte, rutschte er mit seinem breiten Hintern auf dem Klavierhocker zur Seite – seit unserer letzten Begegnung hatte er ziemlich zugenommen – und bedeutete mir mit einem Nicken, neben ihm Platz zu nehmen.
    Ich setzte mich, ohne zu wissen, was das sollte, und eine Zeitlang schwiegen wir beide, während seine dünnen, knochigen Hände über die schimmernde Klaviatur glitten. Ich lauschte der Musik und betrachtete das Foto, das auf dem Flügel stand. Es zeigte Heydrich im Profil. Er trug eine weiße Fechtweste und sah aus wie die Schreckensvision von einem Zahnarzt – einer von der Sorte, der dir sämtliche Zähne zieht, um die Mundpflege zu erleichtern.
    «Guan Zhong war ein chinesischer Philosoph des siebten vorchristlichen Jahrhunderts», sagte Heydrich leise. «Er hat ein großartiges Buch mit chinesischen Sprichwörtern verfasst, und eines davon lautet: ‹Selbst die Wände haben Ohren.›

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