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Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Straferlaß gesprochen hatte, bohrte in mir, wühlte in meinem Gehirn wie ein obszöner Finger.
    Irgendwann nach Mitternacht wachte ich mit einem schweren, tauben Gefühl im Kopf auf, wie man es hat, wenn man zu lange allein draußen im kalten Wind gewesen ist. Ich saß still auf der Sofakante, meine nackten Füße standen in einem quadratischen Fleck Mondlicht auf dem Boden, und die Hände öffneten und schlossen sich, als sehe ich sie zum erstenmal. Dann schloß ich die Tür zu Annies und meinem Schlafzimmer auf und setzte mich im Dunkeln auf den Rand der Matratze.
    Die blutigen Laken waren in einem Vinylsack der Spurensicherung weggeschafft worden, doch die Matratze und die hölzerne Bettstatt waren übersät mit Löchern, in die ich den Finger stecken konnte, so als überzeuge ich mich von den Wundmalen an Jesus’ Händen. Die braunen Muster überall auf der Bettstatt und der Blumentapete hätten von einem Malerpinsel stammen können. Ich rieb mit der Hand über die Wand und spürte die steifen, rissigen Ränder der Tapete, wo Hirsch- und Rehposten bis aufs Holz durchgeschlagen hatten. Der Mond schien durch die Pecanobäume draußen und warf einen ovalen Lichtfleck auf meinen Schoß. Ich fühlte mich so einsam, als säße ich am Grund eines kühlen, trockenen Brunnens, über dem an einem dunklen Himmel silbrige Wolkenstreifen vorbeiziehen.
    Ich mußte an meinen Vater denken und wünschte, er wäre hier bei mir. Er konnte weder lesen noch schreiben und war nie über Louisiana hinausgekommen, doch er besaß im Grunde seines Herzens ein intuitives Verständnis für unser Leben, für die Weltanschauung von uns Cajuns, wie sie kein noch so gewichtiges philosophisches Buch vermitteln könnte. Er trank zuviel, und er boxte mit einer Begeisterung zwei oder drei Männern gleichzeitig in einer Bar, wie ein kleiner Junge beim Baseballspielen; doch ihm eigen waren ein freundliches Herz, ein sicheres Gespür für Recht und Unrecht und ein tragischer Sinn für die Grausamkeit und Gewalt, die die Welt manchmal den Unschuldigen auferlegt.
    Er erzählte mir einmal die Geschichte einer Tötung, die er als junger Mann mitangesehen hatte. Nach Meinung meines Vaters war der Tod des Opfers bezeichnend für all das Unrecht und die Brutalität, zu denen menschliches Gruppenverhalten fähig ist, obwohl das Opfer wahrhaft kein unschuldiger Mann war. Es war im Winter 1935, und ein Verbrecher, der mit John Dillinger und Homer Van Meter Banken ausgeraubt hatte, war in Margarets Bordell in Opelousas aufgeflogen, einem seit dem Krieg mit den Nordstaaten bestehenden Puff. Die Cops jagten ihn bis in den Iberia Parish, und als sein Wagen in einen Graben rutschte, flüchtete er über ein hartgefrorenes Zuckerrohrfeld. Mein Vater und ein Neger rissen gerade mit Maultier und Zugketten Baumstümpfe aus und verbrannten sie auf großen Haufen, als der Räuber an ihnen vorbei auf die alte Scheune neben unserer Windmühle zurannte. Mein Vater sagte, er habe ein weißes Hemd mit Rüschenmanschetten und eine Fliege getragen, keine Jacke, und er habe einen Strohhut mit der Hand umklammert, als sei er sein letzter Besitz auf Erden.
    Ein Cop feuerte von der Straße ein Gewehr ab, und eins der Beine des Räubers knickte ein, und er ging mitten auf dem Stoppelfeld zu Boden. Sämtliche Polizisten trugen Anzüge und Fedorahüte, und sie kamen in einer geschlossenen Linie über das Feld, als scheuchten sie Wachteln auf, Sie bildeten einen Halbkreis um den verwundeten Mann, der mit ausgestreckten Beinen vor ihnen auf der Erde saß und um sein Leben bettelte. Als sie anfingen, mit ihren Revolvern und automatischen Pistolen zu schießen, so erzählte mein Vater, platzte das Hemd des Mannes in lauter karminroten Blumen.
    Karminrote Blumen, die braun geworden sind, die in die Holzfaser getrieben werden können, die unter der Berührung meiner Finger blättern und bröckeln. Denn auf dieser Bettstatt und an dieser Wand wurde sie gemeuchelt, gruben sich ihre Schreie, ihre Furcht und Todesangst in dieses Holz, erkoren diese Zypressenbretter, behauen von meinem Vater, zu ihrem Kruzifix.
    Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Ich starrte zu Robin auf, deren Gesicht und Körper seltsam bleich aussahen im Mondlicht, das durch die Pecanobäume ins Zimmer fiel. Sie schob die Hand unter meinen Arm und zog mich sanft von der Bettkante hoch.
    »Es ist nicht gut für dich hier drin, Streak«, sagte sie ruhig. »Ich mach’ uns in der Küche warme Milch.«
    »Gut, ja. Klingelt

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