Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
morgen um drei, als sie die Toilette vollgekotzt hat. Ich war grade mit Saubermachen fertig. Hören Sie, Sie Witzbold, wenn Sie mit der Tussi reden woll’n, kommen Sie doch her, und reden Sie mit ihr. Ihr beide gebt ’n tolles Paar ab.«
Er hängte ein, und ich schaute auf den im Regen liegenden Bayou hinaus. Vielleicht war ja alles in Ordnung mit ihr, dachte ich. Sie hatte in einer Welt überleben müssen, in der der Gebrauch ihres Körpers durch Männer samt der zuweilen damit verbundenen Gewalt für sie genauso natürlich waren wie die Wodka Collins und das Speed, mit denen sie den Tag begann. Vielleicht war es pure Eitelkeit von mir, anzunehmen, daß ein Gespräch mit mir zusätzliches Leid für sie bedeuten könnte. Außerdem wußte ich noch immer nicht mit Sicherheit, daß der Fahrer der Corvette ein Typ namens Eddie Keats war.
Heilige mißachten Warnungen, weil sie sie für bedeutungslos halten. Narren mißachten sie, weil sie annehmen, daß der Blitz, der über den Himmel tanzt, und der Donner, der durch die Wälder rollt, einzig und allein da sind, um ihr Lebensgefühl auf geheimnisvolle Weise zu steigern. Ich war sowohl von Robin als auch von Minos P. Dautrieve gewarnt worden. Ich sah einen einzelnen Blitz wie ein Stück glühenden Draht über den Horizont im Süden zucken. Doch ich wollte an diesem Tag nicht mehr über Rauschgiftkuriere und einheimische Gangster, Bundesagenten und Flugzeugabstürze nachdenken. Ich horchte auf den Regen, der durch die Pecanobäume tropfte, ging dann im Flackern ferner Blitze hinunter zum Dock, um Annie und Batist bei den Vorbereitungen für den Ansturm der Fischer am Spätnachmittag zu helfen.
Kapitel 3
Wenn man mich als Kind aufgefordert hätte, die Welt zu beschreiben, in der ich lebte, hätte ich vermutlich auf Bilder zurückgegriffen, die ein Gefühl allgemeinen Wohlbefindens von mir und meiner Familie vermittelten. Denn obwohl meine Mutter gestorben war, als ich noch klein war, und mein Vater manchmal in Kneipen randalierte und dafür ab und zu im Gefängnis saß, hatten er, mein kleiner Bruder und ich bei aller Armut doch ein Heim – eigentlich eine ganze Welt – auf dem Bayou gehabt, ein allzeit sicheres Zuhause, im Winter warm vom Holzofen, im Sommer kühl im Schatten der Pecanobäume, einen Ort, wo wir und unseresgleichen seit der Besiedlung durch die ersten Frankokanadier leben konnten, wie es uns gefiel. Bei der Beschreibung dieser Welt hätte ich von meinem zahmen dreibeinigen Waschbären erzählt, von meinem Boot, das mit einer angeblich aus den Zeiten des Seeräubers Jean Lafitte stammenden rostigen Kette an einer Zypresse vertäut war, von dem großen, schwarzen Eisentopf, in dem mein Vater für uns fast jede Sommernacht im Hinterhof sac-a-lait und Brassen briet, von den orangen und purpurnen Sonnenuntergängen im Herbst, wenn der Himmel von Horizont zu Horizont schwarz war vor Enten. Ich hätte von den roten Blättern berichtet, die in diesem merkwürdigen, warm und kalt zugleich wirkenden Oktoberlicht von den Bäumen aufs Wasser schwebten, vom feuchten Laubteppich in den Wäldern, wo wir allerlei nachtaktive Krabbeltiere ausgruben, von dem Räucherhaus im hinteren Teil unseres Grundstücks, das im morgendlichen Rauhreif glitzerte und stets nach einem Gemisch aus Schweinefett und schwelender Asche roch. Vor allem aber hätte ich von meinem Vater erzählt – einem großen, dunkelhaarigen und immer lachenden Cajun, der mit bloßen Händen Bretter zu Kleinholz schlagen, einen Waschzuber voller Ziegelsteine über den Zaun werfen oder einen zwei Meter langen Alligator am Schwanz aus dem Wasser ziehen konnte.
Aber welche Bilder fände man wohl im Kopf eines sechsjährigen Kindes, das buchstäblich der Steinzeit entflohen war, einem mittelamerikanischen Dorf, welches das zwanzigste Jahrhundert in Gestalt der raffiniertesten und tödlichsten Schußwaffen der Welt heimgesucht hatte.
Der einzige spanischsprachige Mensch, den ich in New Iberia kannte, war ein halboffizieller Wettscheinverkäufer namens Felix, der auf den Evangeline Downs in Lafayette und den Fairgrounds in New Orleans arbeitete. Während der Ära Batista war er Kartengeber in einem Kasino in Havanna gewesen, und die von ihm bevorzugten lavendelfarbenen Hemden mit weißen Rüschenmanschetten, seine verknitterten Seersucker-Anzüge und das nach Pomade duftende Haar verrieten, daß es ihn noch immer nach der feinen Lebensart gelüstete. Doch wie fast alle Leute, die sich rund um die Rennbahn
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