Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Strom der Zeit in diesem namen- und gestaltlosen Metaartefakt, das wir konstruiert haben. Sie bilden eine Erweiterung von Johnnys Ich, und er benutzt sie auch so und hält sie für völlig selbstverständlich. Er behandelt sie mit genauso wenig Respekt wie die Früchte seiner eigenen Fantasie. Aber Johnny ist schließlich noch ein Kind und schwimmt gänzlich unreflektiert in seiner Kultur und der seiner Spezies. Er wird eine schulische Ausbildung erhalten (vermutlich durch genau dasselbe System, mit dem er jetzt spielt, und höchstwahrscheinlich nebenbei, ohne es zu bemerken). Möglicherweise muss er irgendwann lernen, Filme so zu schauen, wie wir es heute tun (oder getan haben; mit den DVDs ändert sich die Rezeption und Produktion vonFilmen ja bereits wieder). Vielleicht wird er eine ähnliche Ausbildung benötigen, wie ich sie benötigt habe, um Romane – eine immer noch brauchbare aber marginalisierte Medienplattform – lesen und angemessen würdigen zu können.
Ich kann nur hoffen, dass Johnnys Unterhaltungssystem und seine Kultur auf soliden kuratorischen Prinzipien fußen. Dass es auch eine Archäologie der Medienprodukte geben wird, die das Wissen und wenn nötig den Beweis zur Verfügung stellt, dass Die Spur des Falken ursprünglich ein Schwarzweißfilm war, mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle.
Jetzt sehe ich Johnny in seinem abgedunkelten Zimmer einschlafen, und auf der IKEA-Kommode, einem Familienerbstück, das einmal seiner Großmutter gehört hat und das seine Mutter erst kürzlich hat restaurieren lassen, steht eine frischgepresste Actionfigur aus Kunstharz – ein weiteres Produkt von Johnnys Unterhaltungssystem.
Es ist eine Frau in graziöser Haltung, die aussieht, als würde sie an einem Draht durch die Luft fliegen – wie in einem John-Woo-Film.
Es ist Meryl Streep in ihrer Rolle in The Hours, und sie hat den Kopf eines Chihuahuas.
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Das ist einer von vielen Neuaufgüssen der Gedanken aus »Gesänge eines Toten«.
Bitte beachten Sie, wie geschickt ich mich um die Frage herummogele, ob das Digitale nicht auch eine Auswirkung auf (ähem) das Buch oder die Verlagslandschaft haben könnte. Schon damals hatte ich so meine Vermutungen, aber bei diesem Vortrag ging es mir offenbar in erster Linie darum, Hollywood-Regisseuren Albträume zu bereiten.
Asche auf mein Haupt.
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Wired
September 1993
»Das ist so, als würde Jeffrey Katzenberg ein ganzes Land regieren«, hatte der Produzent gesagt. »Unter dem Motto: Sei glücklich, oder ich bringe dich um.« Wir saßen in einem Büro in der Nähe des Rodeo Drive, auf großen schwarzen Möbelstücken, die mit japanischem Risikokapital gemietet wurden.
Im Land selbst ließ sich die Disneyland-Metapher nur schwer von der Hand weisen. Auch der Rodeo Drive kam mir öfter in den Sinn, obwohl das örtliche Äquivalent eher so aussah, als seien dreißig oder vierzig Beverly Center direkt aneinandergebaut worden.
War es Laurie Anderson, die sagte, dass die virtuelle Realität erst dann real aussehen wird, wenn sie ein bisschen dreckig ist? Singapurs Flughafen, der die Bezeichnung Changi Airtropolis trägt, erinnerte an das frühe Beispiel einer virtuellen Welt. Alles war blitzblank sauber; nirgendwo war auch nur das geringste Chaos zu entdecken, keine fransigen, fraktalen Ränder. Draußen standen die üppigen Tropenpflanzen in leuchtendem Grün, fast schon zu perfekt gepflegt. Nur die Wolken zerfaserten unkontrolliert – seltsame säulenartige Strukturen, die über der Straße von Johor aufragten.
Der Taxifahrer warnte mich davor, Abfall auf die Straße zu werfen. Er fragte mich, woher ich stammte und ob es dort sauber sei. »Singapur sehr saubere Stadt.« Eine dieser nervigen mechanischen Glocken im japanischen Stil ertönte, sobald er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überstieg – nur um unsdaran zu erinnern. Zu beiden Seiten der Autobahn erstreckten sich Golfplätze …
»Sie zum Golfspielen hier?«
»Nein.«
»Geschäftlich?«
»Zum Vergnügen.«
Er biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Anscheinend hatte er da so seine Zweifel.
Singapur ist als Stadt komplett jugendfrei; verwaltet von einem Staat, der an ein großes Unternehmen erinnert. Hätte sich IBM jemals die Mühe gemacht, ein ganzes Land zu kaufen, hätte dieses wahrscheinlich große Ähnlichkeit mit Singapur. Markenzeichen der Singapur GmbH ist eine zugeknöpfte Reserviertheit und ein absoluter Mangel an Humor. Angepasstheit ist hier das oberste Gebot, die
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