Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
doch da hatte ich bereits andere Fotografien von Hak Nam gesehen und wusste, dass dieser Ort, dieses unendliche Zwischenuniversum oder Schwarze Loch, in Wirklichkeit nicht mehr existierte.
Phantom Shanghai zeigt das Verschwinden selbst, diesen scheußlichen Zaubertrick der Stadt des 21. Jahrhunderts. Es erinnert mich an die Morgenröte in der Wüste, die Steine zum Explodieren bringt. Die Bilder selbst sind so unerträglich schön und außergewöhnlich, dass ich den Blick nicht von ihnen abwenden kann.
Diese Fotos sind mit J. G. Ballards »Dokumenten« in Liebe und Napalm zu vergleichen. Sie erinnern an Robert Polidoris Fotos von Prypjat und Tschernobyl, nur dass Girards Aufnahmen das mögliche Schicksal vieler Orte zeigen und deshalb umso schrecklicher sind.
Ein weiteres Mal öffne ich die Schachtel und schaue hinein, und wieder bin ich sprachlos.
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»Kein Foto – nichts passiert«, heißt es im Internet.
Ein einziges Foto von Greg Girard wiegt eine unglaublich hohe Zahl meiner Wörter auf. Dieses Buch ist eine unvergessliche Erfahrung – kaufen Sie es sich, wenn Sie wissen wollen, was mich daran so sprachlos gemacht hat.
Ein Eisenbahnmagnat schlug vor langer Zeit einmal vor, Vancouver »Terminal City« zu taufen. Für diese Einleitung finde ich den Titel fast ein bisschen unoriginell. Ich wünschte, mir wäre etwas Besseres eingefallen.
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Einleitung zu »Stelarc: The Monograph«,
herausgegeben von Marquard Smith
2005
Während der späten Achtziger und frühen Neunziger fanden am laufenden Band Konferenzen zum Thema virtuelle Realität statt, und so reiste ich nach Barcelona, San Francisco, Tokio oder Linz und betrachtete vom Jetlag geplagt verschiedene Manifestationen neuer Technologie und Kunst und Versuche, beides miteinander zu verbinden. Nur wenig davon schaffte es in mein Langzeitgedächtnis. Das meiste verschwand sofort wieder aus dem Zwischenspeicher. Hochgradig erinnerungswert waren zum Beispiel die zerstörerischen Vorführungen der Survival Research Laboratories, das maschinengestützte Straßentheater La Fura dels Baus aus Barcelona und Stelarcs Performances.
Als ich Stelarc in Melbourne einmal persönlich kennenlernte, stellte ich fest, dass er eine bemerkenswerte Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlte. Als hätten die außergewöhnlichen Abenteuer, die er seinem »Körper« zumutete, ihn irgendwie von den alltäglichen Ängsten befreit, mit denen die meisten von uns leben.
Während er mir in dem Restaurant in Melbourne erzählte, dass eine »Roboterskulptur«, die er in seine Kehle eingeführt und auf mechanischem Wege entfaltet hatte, sich standhaft weigerte, sich wieder zusammenzufalten und möglicherweise nur noch operativ entfernt werden könnte, wirkte er wie der ruhigste Mensch, dem ich jemals begegnet war. Er erinnerte mich an den jungen J. G. Ballard – ebenfalls ein absolut gewöhnlich aussehender Mann, dessen zutiefst ungewöhnliche Ideen ihn an einen einzigartigen Ort geführt hatten. Nur dass Ballard dieWelt der Fiktion ansteuerte, während Stelarc seinen Körper in mitunter sogar lebensgefährliche Situationen bringt (wie mit jener eleganten kleinen Skulptur, die seinen Körper in eine Ausstellungsfläche verwandelte).
Zum ersten Mal begegnete ich seiner Kunst in der amerikanischen Zeitschrift ReSearch : Fotografien von einer Performance, bei der Stahlhaken an verschiedenen Körperteilen befestigt wurden. Der Körper wurde dann mithilfe von Steingewichten und Seilen hochgezogen und hing eine Zeitlang ausgestreckt über den Köpfen der Zuschauer in der Luft. Das machte mich sofort neugierig. Wer war dieser Stelarc, und was wollte er mit seiner Kunst bezwecken? Was immer es war, es hatte vermutlich wenig mit dem restlichen Inhalt der Zeitschrift zu tun (ein zweigeteilter Penis, extreme Korsettformen, etc.).
Später, auf dem Art Futura-Festival in Barcelona, sah ich Videoaufnahmen von Stelarcs Roboterperformances. Heute weiß ich, dass es eine Vorführung mit seinem künstlichen dritten Arm war, damals jedoch erschien es mir wie eine Vision von einer merkwürdigen Schimäre im Herzen eines Labyrinths von atemberaubender Komplexität. Wichtig war nicht das Wesen, das Stelarc erschuf, sondern das Labyrinth, das die Manifestation dieser Kreatur erahnen ließ.
Es waren außergewöhnliche Bilder, nicht nur weil sie eine direkte physische Umsetzung des Gemäldes Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 von Marcel Duchamp zu sein schienen.
Stelarcs Kunst hatte für mich nichts
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