Mistelzweig und Weihnachtskuesse
Nach all den Jahren wühlte ihn die Erinnerung an seinen Vater immer noch auf. Er fragte sich, ob sich das jemals ändern würde.
„Jordan? Ist alles in Ordnung?“, fragte Holly besorgt. Sie stand auf und legte ihre Hand auf seine Stirn, während sie mit der anderen sein Handgelenk umfasste, um den Puls zu kontrollieren. „Ein wenig erhöht“, murmelte sie. „Aber Sie fühlen sich nicht heiß an.“
Dann drückte sie den Handrücken gegen seine Wange und berührte anschließend seine Ohrläppchen. Wenn sie so weitermachte, konnte er ihr gleich tatsächlich einen erhöhten Puls vorführen.
„Möchten Sie ein Schmerzmittel, oder sind irgendwelche anderen Medikamente fällig?“
„Es geht mir gut“, gab er zurück. „Beruhigen Sie sich.“
Es ging ihm wirklich gut. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er sich an den dumpfen Schmerz in seinem Körper gewöhnt. Er hätte sogar ganz auf die Medikamente verzichtet, aber nachts brauchte er sie, um schlafen zu können. Tagsüber kam er ohne aus.
Sie ließ seine Hand los und setzte sich zurück auf den Stuhl. Während sie ihn weiter musterte, war die Unsicherheit wie weggeblasen. Dieser Wechsel zwischen Kompetenz und Schüchternheit gefiel ihm fast so gut wie ihre Sommersprossen.
„Ich sollte gehen, damit Sie ein wenig Ruhe bekommen.“
„Mir wäre es lieber, Sie leisten mir Gesellschaft. Es ist ziemlich langweilig, den ganzen Tag hier herumzuliegen.“
„Louise ist doch bei Ihnen.“
Lieber trank Jordan weiter seinen Kaffee, als darauf zu antworten.
Holly öffnete den Mund, aber bevor sie etwas sagen konnte, hörten sie ein Geräusch aus der Küche. Überrascht stand sie auf und drehte sich in Richtung des Lärms.
„Ich bin wieder da!“, rief Louise.
„Dachte ich mir“, grummelte Jordan bei sich.
Holly warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Du liebe Güte, ich habe gar nicht gemerkt, wie lang ich schon hier bin. Sie müssen hundemüde sein. Es tut mir so leid. Sie hätten etwas sagen sollen.“ Sie verknotete ihre Finger ineinander. „Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich zu viel allein bin. Mistletoe ist ein Schatz, aber für eine Unterhaltung taugt sie nicht besonders.“
Vor Verlegenheit war sie ins Plappern geraten, und das gefiel ihm. Es bedeutete, dass sie nervös und verunsichert war. Besser noch: Es hieß, dass sie ihn mochte. Und er wollte, dass sie ihn mochte.
Vom Flur hörte er Schritte, dann betrat Louise den Raum. Überrascht hob sie die Augenbrauen. „Sie scheinen sich gut zu verstehen. Ist alles in Ordnung?“
„Es ist meine Schuld“, sagte Holly schnell. „Nach dem Essen habe ich …“
Jordan wusste nicht, wie er sie anders aufhalten sollte, als den Arm auszustrecken und nach ihrer Hand zu greifen. Holly fuhr zu ihm herum und starrte ihn an.
„Alles ist gut“, beruhigte er die Haushälterin. „Wie war der Unterricht?“
Jetzt starrten ihn gleich zwei Frauen an. Höchstwahrscheinlich fesselte er Hollys Aufmerksamkeit, weil plötzlich unfassbar heiße Funken zwischen ihren Händen hin und her stoben. So etwas war ihm noch nie passiert, und er hatte nicht die leiseste Ahnung, was es bedeutete. Loslassen würde er jedenfalls nicht, denn er befürchtete,dass sie dann sofort davonstürmen würde. Erst wollte er sicherstellen, dass sie zurückkam und ihn besuchte.
Und Louise starrte ihn an, weil er gerade den ersten zivilisierten Satz seit ihrer Ankunft an sie gerichtet hatte. Einen Augenblick fragte er sich, ob er wirklich so fies zu ihr sein musste. Doch dann rief er sich ins Gedächtnis, was sie getan, wie viele Leben sie ruiniert hatte. Sie verdiente es nicht besser und eigentlich sogar noch schlimmer. Dass sie ihm etwas Gutes tat, indem sie sich um ihn kümmerte, musste er ignorieren.
„Der Professor ist nicht einmal alt genug, um sich täglich zu rasieren, aber seine Vorträge sind hervorragend“, antwortete Louise zurückhaltend.
„Ich sollte gehen“, sagte Holly und entzog ihre Finger seinem Griff.
Aber Jordan wollte nicht, dass sie ging. Eine verrückte Sekunde lang wünschte er, er könnte aufstehen und sie küssen. Hätte er noch Medikamente genommen, hätte er es auf die Pillen geschoben. Aber seit gestern Abend hatte er nichts mehr geschluckt. Also war es wohl die Langeweile – oder die Schmerzen. Oder es lag daran, dass er außer seiner Familie nicht viele Freunde hatte. Er mochte Holly. Sie war jemand, mit dem man befreundet sein konnte.
Noch während er den Gedanken zu Ende
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