Mister Aufziehvogel
unzufrieden. Wir waren stolz darauf, über die Runden zu kommen, ohne daß sich irgend jemand in unser Leben einmischte.
Es war für uns beide nicht leicht, aus nichts etwas aufzubauen. Wie die meisten Einzelkinder hatte ich eine Vorliebe für Alleingänge. Wenn es darum ging, etwas Wichtiges zu erreichen, machte ich es am liebsten allein. Mich mit anderen Leuten absprechen und ihnen meine Vorstellungen begreiflich machen zu müssen erschien mir wie eine gewaltige Verschwendung von Zeit und Energie, wo es doch viel leichter war, allein zu arbeiten, ohne ein Wort zu reden. Und Kumiko hatte nach dem Verlust ihrer Schwester ihrer Familie gegenüber ihr Herz verschlossen und war so aufgewachsen, als stünde sie völlig allein auf der Welt. Sie hatte nie bei ihren Eltern oder ihrem Bruder Rat gesucht. In dieser Hinsicht waren wir uns also sehr ähnlich.
Trotzdem lernten wir es beide nach und nach, unseren Körper und unseren Geist in den Dienst dieser neu geschaffenen Entität zu stellen, die wir »unser Zuhause« nannten. Wir übten, gemeinsam zu denken und zu empfinden. Wir bemühten uns, mit Dingen, die einem von uns beiden widerfuhren, gemeinsam fertig zu werden, als mit etwas, das uns beide betraf. Manchmal funktionierte es und manchmal auch nicht. Aber wir hatten Freude an diesem neuen, ungewohnten Prozeß von Versuch und Irrtum. Und selbst heftige Zusammenstöße konnten wir in den Armen des anderen rasch wieder vergessen.
Im dritten Jahr unserer Ehe wurde Kumiko schwanger. Dies war ein gewaltiger Schock für uns - oder zumindest für mich -, da wir es mit der Empfängnisverhütung immer sehr genau genommen hatten. Es mußte in einem unbedachten Augenblick passiert sein; wir konnten uns zwar nicht denken, welcher Augenblick es gewesen sein konnte, aber es gab keine andere Erklärung. Auf alle Fälle konnten wir uns ein Kind finanziell einfach nicht leisten. Kumiko war gerade erst in ihren Redaktionsjob reingekommen und wollte ihn wenn irgend möglich auch behalten. In einem so kleinen Verlag war an so großartige Sozialleistungen wie Mutterschaftsurlaub schlicht nicht zu denken. Wenn eine Mitarbeiterin ein Kind haben wollte, hatte sie keine andere Wahl als zu kündigen. Wenn Kumiko das getan hätte, wäre uns - zumindest eine Zeitlang- nur mein Gehalt geblieben, und davon hätten wir beim besten Willen nicht leben können. »Für dieses Mal müssen wir wohl passen«, sagte Kumiko mit ausdrucksloser Stimme zu mir, nachdem der Arzt ihr das Untersuchungsergebnis mitgeteilt hatte.
Sie hatte wahrscheinlich recht. Wie man die Sache auch betrachtete, war das die vernünftigste Schlußfolgerung. Wir waren jung und auf die Elternrolle nicht im mindesten vorbereitet. Sowohl Kumiko als auch ich brauchten noch Zeit für uns selbst. Wir mußten uns unser eigenes Leben aufbauen: das hatte höchste Priorität. Später würden wir noch mehr als genug Gelegenheiten haben, Kinder in die Welt zu setzen.
In Wirklichkeit aber wollte ich nicht, daß Kumiko abtreiben ließ. In meinem zweiten College-Jahr hatte ich einmal ein Mädchen geschwängert. Ich hatte sie dort kennengelernt, wo ich nebenher jobbte. Sie war ein nettes Mädchen, ein Jahr jünger als ich, und wir kamen gut miteinander aus. Wir mochten uns natürlich, aber ernste Absichten hatten wir beide nicht, und die Chancen, daß wir es je miteinander ernst meinen würden, waren gleich Null. Wir waren einfach zwei einsame junge Leute, die jemanden brauchten, an dem sie sich zeitweilig festhalten konnten. Wie es zu ihrer Schwangerschaft gekommen war, stand zweifelsfrei fest. Ich benutzte immer ein Kondom, aber das eine Mal hatte ich keines mehr. Als ich es ihr sagte, zögerte sie ein paar Sekunden lang und sagte dann: »Was soll’s, ich glaub, es ist heute sowieso ungefährlich.« Das eine Mal hatte gereicht. Ich konnte es gar nicht richtig glauben, daß ich »ein Mädchen geschwängert« haben sollte, aber es war mir klar, daß eine Abtreibung der einzig mögliche Weg war. Ich kratzte das Geld zusammen und begleitete sie in die Klinik. Wir fuhren mit dem Vorortzug in ein Städtchen in Chiba, wo ein Arzt praktizierte, dessen Namen sie von einer Freundin bekommen hatte. Wir stiegen an einer Station aus, von der ich noch nie etwas gehört hatte, und sahen Tausende absolut identischer kleiner Häuschen, die sich, eins ans andere gequetscht, über das hügelige Land bis zum Horizont hindehnten. Das waren riesige Neubausiedlungen, die in den letzten Jahren für jüngere
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