Mister Aufziehvogel
Frauen am Hals. Ich wischte mir mit einem Handtuch, das in der Nähe lag, den Schweiß vom Gesicht, und als ich bereit war, nahm ich den Hörer ab. »Hallo«, sagte ich. »Hallo«, kam die Stimme vom anderen Ende. Es war nicht die von May Kasahara. Auch nicht Kreta Kanos Stimme oder die Stimme der rätselhaften Frau. Es war Malta Kano. »Hallo«, sagte sie, »bin ich mit Herrn Okada verbunden? Mein Name ist Malta Kano. Ob Sie sich wohl noch an mich erinnern?«
»Natürlich. Sehr gut sogar«, sagte ich und versuchte, das Hämmern meines Herzens zu beschwichtigen. Wie hätte ich mich nicht an sie erinnern können? »Ich muß Sie um Verzeihung dafür bitten, daß ich Sie zu so später Stunde anrufe. Es liegt allerdings so etwas wie ein Notfall vor. Mir war vollkommen bewußt, welch eine grobe Belästigung es darstellen und wie sehr ich Sie damit verärgern würde, aber ich sah mich dennoch genötigt, Sie anzurufen. Es tut mir entsetzlich leid.«
Sie brauche sich keine Sorgen zu machen, versicherte ich ihr; ich sei ohnehin noch auf und fühlte mich nicht im mindesten belästigt.
12
B EIM RASIEREN ENTDECKT
BEIM AUFWACHEN ENTDECKT
»Der Grund, weswegen ich Sie zu so später Stunde anrufe, Herr Okada, ist, daß ich das Gefühl hatte, ich sollte Sie so bald wie irgend möglich erreichen«, sagte Malta Kano. Als ich ihr zuhörte, hatte ich den Eindruck, daß sie jedes einzelne Wort sorgfältig auswählte und nach streng logischen Prinzipien zu wohlgeordneten Sätzen aneinanderfügte - wie sie es immer tat. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Okada, würde ich Ihnen, Ihr freundliches Einverständnis vorausgesetzt einige Fragen stellen. Darf ich beginnen?«
Den Hörer in der Hand, ließ ich mich auf dem Sofa nieder. »Nur zu, fragen Sie, was Sie möchten«, sagte ich.
»Sind Sie in den vergangenen zwei Tagen vielleicht außer Haus gewesen, Herr Okada? Ich habe immer wieder versucht, Sie telefonisch zu erreichen, aber Sie schienen nie dazusein.«
»Tja, schon - ja, ich war nicht da. Ich brauchte einen Tapetenwechsel. Ich wollte für eine Weile allein sein, um ein wenig nachdenken zu können. Es gibt eine Menge Dinge, über die ich nachdenken muß.«
»Ja, Herr Okada, dessen bin ich mir vollauf bewußt. Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen. Eine neue Umgebung kann sehr hilfreich sein, wenn man ruhig und systematisch über etwas nachdenken möchte. In diesem Fall jedoch, Herr Okada - und ich weiß, daß meine Frage so klingen wird, als versuchte ich, mich in Ihre Privatangelegenheiten einzumischen -, waren Sie möglicherweise sehr weit fort?«
»Nun ja, so weit auch wieder nicht«, sagte ich bewußt unbestimmt. Ich wechselte den Hörer von der linken in die rechte Hand. »Wie soll ich es formulieren? Ich war an einem ziemlich abgeschiedenen Ort, aber ich kann wirklich nicht ins Detail gehen. Ich habe da meine Gründe. Und ich bin erst vor kurzem zurückgekommen - ich bin zu müde für lange Erklärungen.«
»Natürlich, Herr Okada. Ich verstehe. Jeder hat seine Gründe. Ich werde nicht weiter in Sie dringen. Sie müssen wirklich sehr müde sein: ich merke es Ihrer Stimme an. Machen Sie sich bitte meinetwegen keine Gedanken. Ich sollte Sie um eine solche Uhrzeit wirklich nicht mit so vielen Fragen belästigen. Es tut mir schrecklich leid. Wir können uns über diese Sache sicher in einem passenderen Moment unterhalten. Ich weiß, daß es schrecklich ungehörig von mir war, Ihnen eine so persönliche Frage zu stellen, aber ich habe es nur getan, weil ich in den vergangenen Tagen befürchtet habe, es könnte Ihnen etwas sehr Schlimmes zugestoßen sein.«
Ich versuchte, etwas Angemessenes zu entgegnen, aber das Geräuschlein, das aus meiner Kehle herauskam, klang weniger wie eine Entgegnung als wie das Keuchen eines Wassertiers, das etwas in den falschen Hals bekommen hatte. Etwas sehr Schlimmes, dachte ich. Welche von den Dingen, die mir zur Zeit passierten, waren schlimm und welche nicht? Welche waren okay, und welche waren nicht okay?
»Ich danke Ihnen, daß Sie sich solche Sorgen um mich machen«, sagte ich, sobald ich meine Stimmbänder wieder zum Funktionieren gebracht hatte, »aber im Moment geht’s mir soweit ganz gut. Ich kann nicht behaupten, daß mir etwas Gutes passiert wäre, aber etwas besonders Schlimmes ist mir auch nicht zugestoßen.«
»Ich bin froh, das zu hören.«
»Ich bin einfach nur müde«, fügte ich hinzu.
Malta Kano brachte ein zierliches kleines Räuspern an. »Übrigens,
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