Mister Aufziehvogel
Zukunft. Alles.«
»Und Sie beide wissen etwas über diese Dinge?«
»Ja. Nicht über alles, aber die meisten Antworten sind hier drinnen«, sagte Kreta Kano und zeigte auf ihre Schläfe. »Man braucht nur hineinzugehen.«
»Als würde man auf den Grund eines Brunnens steigen?«
»Ja, genau so.«
Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und schöpfte tief Luft. »Wenn ich darf, würde ich Sie jetzt gern etwas fragen. Sie sind ein paarmal in meinen Träumen erschienen. Das haben Sie bewußt getan. Was geschah, haben Sie willentlich herbeigeführt. Habe ich recht?«
»Ja«, sagte Kreta Kano. »Es war ein Willensakt. Ich bin in Ihr Bewußtsein getreten und habe meinen Körper mit Ihrem vereinigt.«
»So etwas können Sie tun?«
»Ja. Das ist eine meiner Funktionen.«
»Sie und ich haben unsere Körper in meinem Geist vereinigt.« Als ich mich diese Worte aussprechen hörte, war mir, als hätte ich gerade ein kühnes surrealistisches Gemälde an eine weiße Wand gehängt. Und dann, als betrachtete ich das Bild aus einigem Abstand, um mich zu vergewissern, daß es auch nicht schief hing, sagte ich noch einmal: »Sie und ich haben unsere Körper in meinem Geist vereinigt. Aber ich habe Sie beide nie um etwas gebeten. Ich habe nie auch nur mit dem Gedanken gespielt, Sie irgend etwas für mich herausfinden zu lassen. Richtig? Wie kommen Sie also dazu, so etwas eigenmächtig zu tun?«
»Weil Malta Kano mir den Auftrag dazu gegeben hat.«
»Was im Klartext bedeutet, daß Malta Kano Sie als Medium benutzt hat, um in meinem Geist herumzustöbern. Was hat sie da drin gesucht? Antworten für Noboru Wataya? Oder für Kumiko?«
Kreta Kano sagte eine Zeitlang nichts. Sie wirkte verlegen. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie. »Man hat mir keine näheren Informationen gegeben. Auf die Weise kann ich als Medium spontaner fungieren. Meine einzige Aufgabe ist, fremdes Bewußtsein durch mich hindurchströmen zu lassen. Dem, was ich dort finde eine Bedeutung zuzuweisen, ist Malta Kanos Aufgabe. Aber bitte glauben Sie mir, Herr Okada: Malta Kano ist grundsätzlich auf Ihrer Seite. Ich hasse Noboru Wataya schließlich, und Malta Kanos erste Sorge gilt mir. Sie hat es um Ihretwillen getan, Herr Okada. Davon bin ich überzeugt.«
Kreta Kano ging in unseren Supermarkt einkaufen. Ich gab ihr Geld und riet ihr, zum Ausgehen etwas Konventionelleres anzuziehen. Sie nickte und ging in Kumikos Zimmer, wo sie eine weiße Baumwollbluse und einen geblümten Rock anzog.
»Stört es Sie auch nicht, Herr Okada, wenn ich Kleider Ihrer Frau anziehe?« Ich schüttelte den Kopf. »In ihrem Brief stand, ich solle alles fortgeben. Es stört niemanden, wenn Sie ihre Sachen anziehen.«
Genau wie ich erwartet hatte, paßte ihr alles wie angegossen - es war fast unheimlich. Sie hatte sogar dieselbe Schuhgröße; Kreta Kano ging in einem Paar von Kumikos Sandalen aus dem Haus. Der Anblick von Kreta Kano in Kumikos Kleidern gab mir wieder einmal das Gefühl, die Wirklichkeit wechsle die Richtung, so wie ein riesiges Passagierschiff schwerfällig einen neuen Kurs einschlägt. Als Kreta Kano das Haus verlassen hatte, legte ich mich aufs Sofa und starrte gedankenleer in den Garten. Dreißig Minuten später kam sie im Taxi zurück, mit drei Einkaufstüten voller Lebensmittel beladen. Dann machte sie mir Eier mit Schinken und einen Sardellensalat.
»Sagen Sie, Herr Okada, interessieren Sie sich für Kreta?« fragte Kreta Kano völlig übergangslos, als wir gegessen hatten.
»Für Kreta?« sagte ich. »Sie meinen die Insel Kreta, im Mittelmeer?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Sagen wir, ist nicht so, daß ich mich nicht für sie interessieren würde. Ich hab nie groß darüber nachgedacht.«
»Hätten Sie Lust, mit mir nach Kreta zu fahren?«
»Mit Ihnen nach Kreta zu fahren?« echote ich.
»Ich würde Japan gern für eine Weile verlassen. Darüber habe ich im Brunnen die ganze Zeit nachgedacht, nachdem Sie gegangen waren. Seit dem Tag, an dem mir Malta den Namen Kreta gab, war mir klar, daß ich irgendwann einmal gern nach Kreta reisen würde. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich viele Bücher über die Insel gelesen. Ich habe sogar Griechisch gelernt, damit ich mich dort verständigen könnte, wenn die Zeit gekommen wäre. Ich verfüge über ganz ansehnliche Ersparnisse, die uns erlauben würden, dort eine ganze Zeitlang zu leben. Um Geld bräuchten Sie sich keine Gedanken zu machen.«
»Weiß Malta Kano, daß Sie
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