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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Hasses in Noboru Watayas Herz.«
    »Ja, ich habe sie gespürt. Ich spüre sie immer noch«, sagte Kreta Kano. »Das ist es, was meinen Körper zerrissen, was mich beschmutzt hat, Herr Okada. Und darum will ich es nicht zulassen, daß er mein letzter Freier gewesen ist. Verstehen Sie?« In dieser Nacht ging ich mit Kreta Kano ins Bett. Ich zog ihr Kumikos Sachen aus und vereinigte meinen Körper mit ihrem. Bedächtig und sanft. Es fühlte sich an wie eine Fortsetzung meines Traums, als würden wir die Handlungen, die ich im Traum mit Kreta Kano vollzogen hatte, in der Wirklichkeit genau wiederholen Ihr Körper war wirklich und lebendig. Aber etwas fehlte: das deutliche Gefühl daß dies tatsächlich geschah. Mehrmals befiel mich die Illusion, ich sei mit Kumiko, nicht mit Kreta Kano zusammen. Ich war mir sicher, im Augenblick des Kommens würde ich aufwachen. Aber ich wachte nicht auf. Ich kam in Kreta Kano. Es war die Wirklichkeit. Die wahre Wirklichkeit. Aber jedesmal, wenn ich dies als Tatsache zur Kenntnis nahm, fühlte sich die Wirklichkeit ein bißchen weniger wirklich an. Die Wirklichkeit löste sich allmählich auf und rückte, Schrittchen für Schrittchen, von der Wirklichkeit ab. Aber Wirklichkeit war es doch. »Herr Okada«, sagte Kreta Kano, die Arme um meinen Körper geschlungen, »lassen Sie uns zusammen nach Kreta fahren. Das hier ist nicht mehr der richtige Ort für uns: für Sie nicht und für mich nicht. Wir müssen nach Kreta. Wenn Sie hierbleiben, wird Ihnen etwas Schlimmes geschehen. Ich weiß es. Ich bin mir dessen sicher.«
    »Etwas Schlimmes?«
    »Etwas sehr, sehr Schlimmes«, prophezeite Kreta Kano - mit leiser, aber durchdringender Stimme, wie der Prophet-Vogel, der im Wald lebt.

15
    D AS EINZIG SCHLIMME, DAS JE
    IN MAY KASAHARAS HAUS PASSIERT IST
    MAY KASAHARA ÜBER
    DIE GLIBBRIGE WÄRMEQUELLE
     
    »Hallo, Mister Aufziehvogel«, sagte die Frauenstimme. Ich preßte mir den Hörer ans Ohr und sah auf die Uhr. Vier Uhr nachmittags. Als das Telefon geklingelt hatte, hatte ich schweißgebadet auf dem Sofa gelegen und geschlafen. Es war ein kurzes, unerquickliches Nickerchen gewesen. Und nun war mir das körperliche Gefühl davon zurückgeblieben, während ich schlief, habe die ganze Zeit jemand auf mir gesessen. Wer immer es gewesen war, er hatte gewartet, bis ich eingeschlafen war, hatte sich auf mich draufgesetzt und war, kurz bevor ich aufwachte, wieder aufgestanden und gegangen. »Hal-looo«, gurrte die Frauenstimme leise, fast flüsternd. Der Schall schien auf dem Weg zu mir Schichten besonders dünner Luft passieren zu müssen. »Hier ist May Kasahara …«
    »Na?« versuchte ich zu sagen, aber mein Mund bewegte sich noch nicht so, wie ich wollte. Der Laut, der herauskam, mag wie ein Stöhnen geklungen haben.
    »Was machen Sie denn gerade?« fragte sie anzüglich.
    »Nichts«, sagte ich und nahm die Sprechmuschel vom Mund, um mich zu räuspern. »Nichts. Dösen.«
    »Hab ich Sie geweckt?«
    »Sicher. Ist aber schon okay. War nur ein Nickerchen.«
    May Kasahara schien für einen Moment zu zögern. Dann sagte sie: »Wie wär’s, Mister Aufziehvogel: kommen Sie zu mir rüber?«
    Ich schloß die Augen. In der Dunkelheit schwebten Lichter in verschiedenen Farben und Formen. »Nichts dagegen«, sagte ich.
    »Ich bin im Garten und sonne mich, also kommen Sie einfach hinten rein.«
    »Okay.«
    »Sagen Sie, Mister Aufziehvogel, sind Sie auf mich sauer?«
    »Weiß ich nicht genau«, sagte ich. »Jedenfalls geh ich jetzt unter die Dusche und zieh mich um, und dann komm ich rüber. Ich möchte mit dir über etwas reden.« Ich duschte kurz kalt, um einen klaren Kopf zu bekommen, wusch mich dann heiß und drehte zum Abschluß wieder auf Kalt. Dadurch wurde ich zwar wach, aber mein Körper fühlte sich weiterhin dumpf und schwer an. Immer wieder bekam ich ein Zittern in den Beinen, und während des Duschens mußte ich mehrmals nach der Handtuchstange greifen oder mich auf den Wannenrand setzen. Vielleicht war ich doch erschöpfter, als ich angenommen hatte. Nachdem ich aus der Dusche gestiegen war und mich abgetrocknet hatte, putzte ich mir die Zähne und sah mich im Spiegel an. Das dunkelblaue Mal prangte nach wie vor auf meiner rechten Wange, nicht dunkler und nicht heller als zuvor. Meine Augäpfel waren mit einem Netz haarfeiner Äderchen überzogen, und unter den Augen hatte ich dunkle Ringe. Meine Wangen sahen eingefallen aus, und meine Haare mußten geschnitten werden. Ich sah aus wie eine

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