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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Ihnen. Ich glaube, wir können einander helfen.«
    Ich nickte. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte ich. »Es freut mich sehr, daß Sie mir dieses Angebot gemacht haben, und ich glaube, es wäre großartig, wenn wir zusammen nach Kreta fahren könnten. Das meine ich ehrlich. Aber ich muß über eine Menge Dinge nachdenken, und eine Menge Dinge muß ich klären.«
    »Und wenn Sie am Ende sagen, Sie möchten nicht nach Kreta fahren, seien Sie unbesorgt. Ich werde nicht gekränkt sein. Es wird mir leid tun, aber ich möchte Ihre ehrliche Antwort haben.«
     
    Kreta Kano verbrachte auch die folgende Nacht in meinem Haus. Als die Sonne unterging, lud sie mich zu einem Spaziergang in den nächsten Park ein. Ich beschloß, meinen blauen Fleck zu vergessen und mich aus dem Haus zu trauen. Was hatte es auch schon für einen Sinn, sich wegen so etwas verrückt zu machen? Wir spazierten eine Stunde lang durch den schönen Sommerabend, dann gingen wir wieder nach Hause und aßen.
    Nach unserem Abendessen sagte Kreta Kano, sie wolle mit mir schlafen. Sie sagte, sie wolle mit mir körperlichen Sex haben. Das kam so plötzlich, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte, und genau das sagte ich ihr auch: »Das kommt so plötzlich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Kreta Kano sah mir in die Augen und sagte: »Völlig unabhängig davon, ob Sie mit mir nach Kreta fahren oder nicht, Herr Okada, möchte ich, daß Sie mich einmal - nur ein einziges Mal - als Prostituierte nehmen. Ich möchte, daß Sie meinen Körper kaufen. Hier. Heute nacht. Es wird mein letztes Mal sein. Danach werde ich keine Prostituierte mehr sein, weder eine des Körpers noch eine des Geistes. Auch den Namen Kreta Kano werde ich ablegen. Aber um das tun zu können, brauche ich einen deutlich sichtbaren Schlußpunkt, etwas, das besagt: ›Hier ist es zu Ende.‹«
    »Ich kann verstehen, daß Sie einen solchen Schlußpunkt haben wollen, aber warum müssen Sie dazu mit mir schlafen?«
    »Begreifen Sie denn nicht, Herr Okada? Indem ich mit Ihrer wirklichen Person schlafe, indem ich meinen Körper in der Wirklichkeit mit Ihrem vereinige, will ich durch Sie hindurchgehen, durch diese Person namens Herr Okada. Dadurch will ich mich von dem Gefühl von Beschmutzung befreien, das in mir ist. Das wird der Schlußpunkt sein.«
    »Nun, es tut mir leid, aber ich kaufe keine Körper.«
    Kreta Kano biß sich auf die Lippe. »Wie wäre es dann damit: statt Geld geben Sie mir ein paar Kleidungsstücke Ihrer Frau. Und Schuhe. Wir setzen das als Preis für meinen Körper fest. Das müßte doch gehen, oder? Dann bin ich gerettet.«
    »Gerettet. Sie meinen, dadurch werden Sie von dem Schmutz befreit, den Noboru Wataya in Ihnen hinterlassen hat?«
    »Ja, genau das meine ich«, sagte Kreta Kano.
    Ich starrte sie an. Ohne falsche Wimpern wirkte ihr Gesicht viel kindlicher. »Verraten Sie mir eins«, sagte ich, »wer ist dieser Noboru Wataya wirklich? Er ist der Bruder meiner Frau, aber ich kenne ihn so gut wie gar nicht. Was geht in seinem Kopf vor? Was will er? Mit Sicherheit weiß ich eigentlich nur, daß wir uns hassen, er und ich.«
    »Noboru Wataya ist ein Mensch, der zu einer Welt gehört, die das genaue Gegenteil der Ihren darstellt«, sagte Kreta Kano. Dann schien sie nach den richtigen Worten zu suchen, um fortfahren zu können. »In einer Welt, in der Sie gegenwärtig alles verlieren, Herr Okada, gewinnt Noboru Wataya alles. In einer Welt, in der Sie abgelehnt werden, wird er akzeptiert. Und ebenso umgekehrt. Darum haßt er Sie so sehr.«
    »Das begreif ich nicht. Was kann es für ihn schon für eine Rolle spielen, ob ich überhaupt existiere? Er ist berühmt, er ist mächtig. Verglichen mit ihm bin ich eine absolute Null. Warum nimmt er sich die Zeit und macht sich die Mühe, ausgerechnet mich zu hassen?«
    Kreta Kano schüttelte den Kopf. »Haß gleicht einem langen, dunklen Schatten. Wo er eigentlich herkommt, weiß in den meisten Fällen nicht einmal der Mensch, auf den er fällt. Haß ist wie ein zweischneidiges Schwert. Wenn man den anderen schneidet, schneidet man sich selbst. Je brutaler man auf den anderen einhaut, desto brutaler haut man auf sich selbst ein. Haß kann oft tödlich sein. Aber es ist nicht leicht, sich davon zu befreien. Seien Sie bitte vorsichtig, Herr Okada. Haß ist sehr gefährlich. Nichts auf der Welt ist so schwer auszumerzen, wenn er erst einmal im Herzen Wurzel gefaßt hat.«
    »Und die konnten Sie spüren, nicht wahr? Die Wurzel des

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