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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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worden bin ich auch nicht. Momentan gibt’s niemand, der mich retten könnte, Mister Aufziehvogel. Die Welt erscheint mir völlig leer. Alles, was ich um mich herum sehe, sieht unecht aus. Das einzige, was nicht unecht ist, ist dieses glibbrige Ding in mir.« Lange saß May Kasahara regungslos da und atmete in kurzen, regelmäßigen Atemzügen. Sonst war nichts zu hören, weder Vogel- noch Insektenlaute. Eine entsetzliche Stille legte sich über den Garten, als wäre die Welt auf einmal wirklich leer.
    May Kasahara wandte sich auf ihrem Liegestuhl zu mir um. Sie schien sich plötzlich an etwas erinnert zu haben. Jetzt war jeder Ausdruck aus ihrem Gesicht verschwunden, als habe man sie gründlich gewaschen. »Sagen Sie mal, Mister Aufziehvogel, haben Sie mit dieser Kreta Dingsbums geschlafen?«
    Ich nickte.
    »Werden Sie mir aus Kreta schreiben?« fragte May Kasahara. »Klar doch. Wenn ich fahre.«
    »Wissen Sie, Mister Aufziehvogel«, sagte sie nach einem gewissen Zögern, »es könnte sein, daß ich demnächst wieder in die Schule gehe.«
    »Aha, dann hast du also deine Meinung über die Schule geändert?« Sie zuckte leicht mit der Schulter. »Ist eine andere. In die alte Schule kriegt mich keiner wieder rein. Die neue ist ziemlich weit weg von hier. Das heißt, ich sehe Sie wahrscheinlich sowieso eine Weile nicht mehr.«
    Ich nickte. Dann holte ich ein Zitronenbonbon aus der Tasche und steckte es mir in den Mund. May Kasahara wandte den Blick ab und zündete sich eine Zigarette an.
    »Verraten Sie mir eins, Mister Aufziehvogel, macht’s eigentlich Spaß, mit einem Haufen verschiedener Frauen zu schlafen?«
    »Das gehört nicht hierher.«
    »Klar, hab ich irgendwie schon mal gehört.«
    »Genau«, sagte ich, aber dann fiel mir nichts mehr ein.
    »Ach, vergessen Sie’s. Aber wissen Sie, Mister Aufziehvogel: daß ich mich zuletzt doch entschlossen hab, wieder in die Schule zu gehen, liegt daran, daß ich Sie kennengelernt habe. Im Ernst.«
    »Wieso das?« fragte ich.
    »Ja, wieso das?« sagte May Kasahara. Dann kniff sie die Augen zusammen und sah mich an. »Vielleicht wollte ich wieder in eine normalere Welt zurück. Aber wirklich, Mister Aufziehvogel, es hat echt Spaß mit Ihnen gemacht. Im Ernst. Ich meine, Sie sind so ein total normaler Typ, aber Sie machen so un normale Dinge. Und Sie sind so - hm - unberechenbar. Deswegen ist es keine Spur langweilig gewesen, mit Ihnen zusammenzusein. Sie haben keine Ahnung, wie gut mir das getan hat. Sich nicht zu langweilen bedeutet, nicht über einen Haufen Scheiß nachdenken zu müssen, stimmt’s? Also, was das angeht, bin ich froh, daß Sie da waren. Aber, ehrlich gesagt, hat’s mich auch nervös gemacht.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Na ja, wie soll ich sagen? Wenn ich Sie mir so ansehe, hab ich manchmal das Gefühl, ich weiß nicht, als ob Sie richtig verbissen gegen etwas kämpfen - meinetwegen. Ich weiß, das klingt komisch, aber wenn das passiert, hab ich das Gefühl, daß ich ganz auf Ihrer Seite bin, mit Ihnen schwitze. Verstehen Sie, was ich meine? Sie wirken immer so cool, egal, was passiert, es geht Sie nichts an, aber Sie sind in Wirklichkeit gar nicht so. Auf Ihre Weise kämpfen Sie so verbissen, wie Sie können, auch wenn man’s Ihnen nicht ansieht. Sonst wären Sie ja wohl auch nicht in den Brunnen gestiegen, richtig? Aber egal, natürlich kämpfen Sie nicht für mich. Sie stolpern andauernd über Ihre eigenen Füße, während Sie wie irre versuchen, dieses große Was-auch-immer niederzuringen, und all das nur, um Kumiko zu finden. Also hat’s überhaupt keinen Wert, daß ich mich Ihretwegen so abschwitze. Das weiß ich alles, aber trotzdem werd ich das Gefühl nicht los, daß Sie doch für mich kämpfen, Mister Aufziehvogel - daß Sie wahrscheinlich, während Sie um Kumiko kämpfen, gleichzeitig irgendwie auch für eine Menge anderer Leute kämpfen. Und vielleicht wirken Sie darum manchmal wie ein absoluter Idiot. Find ich, Mister Aufziehvogel. Aber wenn ich Ihnen dabei zusehe, werd ich ganz verkrampft und nervös, und am Ende fühle ich mich total ausgelaugt. Ich meine, es sieht ganz so aus, als könnten Sie unmöglich gewinnen. Wenn ich bei dem Fight wetten müßte, würd ich auf Ihre Niederlage wetten. Tut mir leid, aber so ist das nun mal. Ich mag Sie sehr, aber ich will nicht pleite gehen.«
    »Ich versteh das vollkommen.«
    »Ich will nicht dabei zusehen, wie Sie untergehen, und ich will Ihretwegen nicht noch mehr schwitzen, als ich schon

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