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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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die stille Wut, die in meinem Körper aufgewallt war, als ich im Gehen über Kumiko nachgedacht hatte. Plötzlich freigesetzt, loderte sie jetzt unkontrollierbar auf und schlug in etwas um, das unbändigem Haß zum Verwechseln ähnelte. Wieder ließ ich den Schläger auf den Oberschenkel krachen. Dem Mann lief Speichel aus dem Mundwinkel. Meine Schulter und mein linker Arm begannen da, wo er mich getroffen hatte, dumpf zu pochen. Der Schmerz fachte meine Wut nur noch mehr an. Das Gesicht des Mannes war schmerzverzerrt, aber er bemühte sich trotzdem, wieder auf die Beine zu kommen. Ich konnte meinen linken Arm nicht bewegen, also warf ich den Schläger hin und beugte mich über den Mann und schmetterte ihm meine rechte Faust ins Gesicht. Wieder und wieder schlug ich zu. Ich schlug ihm so lange ins Gesicht, bis die Finger meiner rechten Hand erst taub wurden und dann anfingen zu schmerzen. Ich wollte ihn besinnungslos prügeln. Ich packte ihn am Hals und schmetterte seinen Kopf auf den Holzfußboden. Ich war noch nie in meinem Leben in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Ich hatte noch nie jemanden mit voller Kraft geschlagen. Aber jetzt konnte ich nichts tun, als zuzuschlagen, und ich schien damit gar nicht mehr aufhören zu können. Mein Verstand befahl mir aufzuhören: Jetzt war es genug. Auch nur ein bißchen mehr wäre zuviel. Der Mann konnte ja gar nicht mehr aufstehen. Aber ich konnte nicht aufhören. Jetzt waren zwei Ichs da, begriff ich. Ich hatte mich geteilt, und dieses »Ich« hatte die Fähigkeit eingebüßt, das andere »Ich« zu bremsen. Ein heftiger Schauder durchfuhr meinen Körper.
    Dann wurde mir bewußt, daß der Mann lächelte. Noch während ich auf ihn einschlug, lächelte der Mann mich an - je mehr ich auf ihn einschlug, desto mehr ging sein Lächeln in die Breite, bis er schließlich, aus Nase und Mund Blut verströmend, am eigenen Speichel erstickend, ein hohes, dünnes Lachen ausstieß. Er muß verrückt sein, dachte ich, und ich hörte auf, ihn zu boxen, und richtete mich auf.
    Ich schaute mich um und sah, seitlich ans Schuhregal gelehnt, den Gitarrenkasten stehen. Ich ließ den Mann, der noch immer lachte, da liegen und ging zum Gitarrenkasten. Ich legte ihn auf den Boden, öffnete die Verschlüsse und klappte den Deckel auf. Es war nichts drin. Er war absolut leer - keine Gitarre, keine Kerzen. Der Mann sah mich lachend und hustend an. Ich konnte kaum atmen. Mit einemmal wurde die heiße, feuchte Luft dieses Hauses unerträglich. Der Geruch nach Moder, das Gefühl meines eigenen Schweißes auf meiner Haut, der Geruch von Blut und Speichel, mein Haß und meine Wut: alles ging plötzlich über meine Kräfte. Ich riß die Tür auf, stürzte ins Freie und zog die Tür wieder hinter mir zu. Wie zuvor war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Das einzige Lebewesen war eine große braune Katze, die, ohne Notiz von mir zu nehmen, langsam das unbebaute Grundstück durchquerte.
    Ich wollte verschwinden, bevor mich irgend jemand sah. Ich war mir nicht sicher, in welche Richtung ich gehen sollte, aber ich marschierte einfach los, und schon bald stieß ich auf eine Bushaltestelle mit dem Schild »Zum Shinjuku-Bahnhof«. Ich hoffte, es werde mir bis zur Ankunft des nächsten Busses gelingen, meine Atmung zu beruhigen und meine Gedanken zu ordnen, aber ich schaffte keins von beidem. Wieder und wieder sagte ich mir: Ich hatte doch nur versucht, mir die Gesichter der Leute anzusehen! Ich hatte mir einfach die Gesichter der Passanten angesehen, genau wie mein Onkel es gesagt hatte. Ich hatte einfach nur versucht, die simpelsten Komplikationen in meinem Leben zu entwirren, nichts sonst. Als ich in den Bus einstieg, drehten sich die Fahrgäste nach mir um. Einer nach dem anderen warf mir den gleichen erschrockenen Blick zu und wandte dann die Augen ab. Ich nahm an, das liege an dem Mal auf meiner Wange. Es verging einige Zeit, bis ich begriff, daß es eher an den Blutspritzern auf meinem weißen Hemd lag (größtenteils Blut aus der Nase des Mannes) und an dem Baseballschläger, den ich noch immer mit beiden Händen umklammert hielt. Schließlich schleppte ich den Schläger bis nach Hause mit und warf ihn dort in einen Schrank.
    In dieser Nacht blieb ich wach, bis die Sonne aufging. Die Stellen an meiner Schulter und meinem linken Arm, wo der Mann mich getroffen hatte, schwollen an und sandten Wellen von Schmerz durch meinen Körper, und meine rechte Faust bewahrte noch immer das Gefühl, Schlag auf

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