Mister Aufziehvogel
erinnerte ich mich, daß ich überhaupt keine dabeihatte.
Ihre Visitenkarte war aus dünnem Kunststoff und schien leicht nach Weihrauch zu duften. Als ich sie mir näher an die Nase führte, wurde der Geruch deutlicher. Kein Zweifel: es war Weihrauch. Als einzige Beschriftung trug sie eine Zeile kleiner tiefschwarzer Buchstaben:
Malta? Ich drehte die Karte um. Die Rückseite war leer.
Während ich noch über die tiefere Bedeutung dieser Visitenkarte rätselte, kam der Kellner und stellte ein eisgefülltes Glas vor sie, das er dann zur Hälfte mit Tonic-water aufgoß. Das Glas enthielt einen Keil Zitrone. Die Kellnerin erschien mit einer silberfarbenen Kaffeekanne auf ihrem Tablett. Sie stellte eine Tasse vor mich und goß sie mit Kaffee voll. Mit den verstohlenen Bewegungen von jemandem, der einem ein ungünstiges Horoskop zusteckt, ließ sie die Rechnung auf den Tisch gleiten und ging. »Sie ist unbeschriftet«, sagte Malta Kano zu mir. Ich starrte noch immer auf die Rückseite ihrer Visitenkarte. »Nur mein Name. Meine Adresse oder Telefonnummer braucht nicht darauf zu stehen. Es ruft mich nie jemand an. Ich bin diejenige, die anruft.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Diese sinnlose Bemerkung blieb über dem Tisch im Raum hängen wie Gullivers fliegende Insel.
Das Glas in beiden Händen haltend, nahm sie einen winzigen Schluck durch einen Strohhalm. Ein Schatten von Unmut glitt über ihr Gesicht, worauf sie das Glas beiseite schob, als habe sie jegliches Interesse daran verloren.
»Malta ist nicht mein wirklicher Name«, sagte Malta Kano. »Kano ja, aber Malta ist ein Pseudonym, das ich nach der Insel Malta gewählt habe. Sind Sie jemals auf Malta gewesen, Herr Okada?«
Ich sagte nein. Ich war niemals auf Malta gewesen und hatte auch nicht vor, in nächster Zeit nach Malta zu reisen. Es war mir noch nie in den Sinn gekommen, dorthin zu fahren. Alles, was mir zu Malta einfiel, war Herb Alperts Version von »The Sands of Malta«, ein wahrhaft gottserbärmliches Stück. »Ich habe früher auf Malta gelebt«, sagte sie. »Drei Jahre lang. Das Wasser dort ist abscheulich. Ungenießbar. Wie verdünntes Meerwasser. Und das Brot, das sie dort backen, ist salzig. Nicht, weil sie den Teig salzen würden, sondern weil das Wasser, das sie dazu verwenden, salzig ist. Das Brot ist allerdings nicht schlecht. Ich mag das maltesische Brot eigentlich ganz gern.« Ich nickte und trank ein Schlückchen Kaffee.
»So schlecht es auch schmeckt, hat das Wasser von einem bestimmten Ort auf Malta eine wunderbare Wirkung auf die Elemente des Körpers. Es ist ein ganz besonderes - ja mystisches - Wasser, und man findet es ausschließlich an dieser einen Stelle der Insel. Die Quelle liegt hoch oben in den Bergen, und um dorthin zu gelangen, muß man von einem Dorf im Tal aus stundenlang klettern. Das Wasser läßt sich nicht von seinem Ursprungsort wegtransportieren. Bringt man es woandershin, verliert es seine Kraft. Die einzige Möglichkeit, es zu trinken, besteht darin, seine Quelle aufzusuchen. Es wird schon in Schriften aus der Zeit der Kreuzzüge erwähnt - man nannte es ›Geistwasser‹. Allen Ginsberg ist einmal dorthin gekommen, um es zu trinken. Ebenso Keith Richards. Ich habe drei Jahre lang dort gewohnt, in dem kleinen Dorf am Fuß des Berges. Ich habe Gemüse angebaut und weben gelernt. Jeden Tag bin ich zur Quelle hinaufgestiegen und habe das besondere Wasser getrunken. Das war von 1976 bis 1979. Einmal habe ich eine ganze Woche lang nur dieses Wasser getrunken und gar nichts gegessen. Eine ganze Woche lang darf man nichts anderes zu sich nehmen als dieses Wasser. Es ist eine besondere Form der Kasteiung, die dort vorgeschrieben ist. Ich glaube, man könnte es als eine religiöse Übung bezeichnen. Auf diese Weise läutert man seinen Körper. Für mich war es eine wahrhaft wunderbare Erfahrung. So kam es, daß ich, als ich nach Japan zurückkehrte, für berufliche Zwecke das Pseudonym Malta annahm.«
»Dürfte ich wissen, was Ihr Beruf ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Strenggenommen ist es kein Beruf. Ich nehme kein Geld für das, was ich tue. Ich bin Beraterin. Ich spreche mit Leuten über die Elemente des Körpers. Ich stelle außerdem Forschungen über Wasserarten an, die eine wohltätige Wirkung auf die Elemente des Körpers ausüben. Um Geld brauche ich mir keine Gedanken zu machen; ich verfüge über ausreichende Mittel. Mein Vater ist Arzt, und er hat meiner jüngeren Schwester und mir als eine
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