Mister Aufziehvogel
Art Leibrente Aktien und Grundstücke überschrieben. Ein Buchhalter verwaltet sie für uns. Sie werfen Jahr für Jahr eine anständige Rendite ab. Ich habe außerdem mehrere Bücher geschrieben, die mir ein bescheidenes zusätzliches Einkommen verschaffen. Meine Arbeit über die Elemente des Körpers ist rein gemeinnützig. Was auch der Grund dafür ist, daß meine Visitenkarte weder Adresse noch Telefonnummer aufweist. Ich bin diejenige, die anruft.«
Ich nickte, aber es war lediglich eine mechanische Kopfbewegung: Ich hatte keine Ahnung, wovon sie eigentlich sprach. Ich verstand jedes ihrer Worte, aber es war mir unmöglich, den Sinnzusammenhang zu erfassen. Elemente des Körpers? Allen Ginsberg?
Mir wurde zunehmend unwohler. Ich bin nicht besonders intuitiv veranlagt, aber je länger ich mit dieser Frau zusammensaß, desto deutlicher meinte ich, Unrat zu wittern.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte ich, »aber ich frage mich, ob ich Sie bitten dürfte, mir die Sache von Anfang an, Schritt für Schritt, zu erklären. Ich habe vor wenigen Stunden mit meiner Frau gesprochen, und das einzige, was sie gesagt hat, war, daß ich mich mit Ihnen treffen und mit Ihnen über unseren verschwundenen Kater reden sollte. Um ganz ehrlich zu sein, verstehe ich nicht recht, worauf Sie mit dem, was Sie mir erzählt haben, eigentlich hinauswollen. Hat es irgend etwas mit dem Kater zu tun?«
»Durchaus, ja«, sagte sie. »Aber bevor ich darauf eingehe, Herr Okada, gäbe es da noch etwas, wovon ich Sie in Kenntnis setzen möchte.«
Noch einmal öffnete sie den Metallverschluß ihrer Handtasche und zog ein weißes Kuvert hervor. Darin befand sich ein Foto, und das reichte sie mir. »Meine Schwester«, sagte sie. Es war ein Farb-Schnappschuß von zwei Frauen. Die eine war Malta Kano, und auch auf dem Foto trug sie einen Hut - einen gelben, gestrickten Hut. Wieder paßte er herzzerreißend schlecht zu ihrer übrigen Kleidung. Ihre Schwester - ich ging davon aus, daß dies die jüngere Schwester war, von der sie gerade gesprochen hatte - trug ein pastellfarbenes Kleid und einen entsprechenden Hut, beides von der Art, wie sie in den frühen sechziger Jahren in Mode gewesen waren. Ich meinte mich zu erinnern, daß man solche Farben damals als »Sorbet-Töne« bezeichnet hatte. Eines war jedenfalls sicher: Diese Schwestern hatten eine Schwäche für Hüte. Die Frisur der Jüngeren war exakt diejenige von Jacqueline Kennedy zu ihrer Zeit als First Lady, starr vor Haarspray. Sie trug ein bißchen zuviel Make-up, aber man konnte sie ohne Übertreibung als schön bezeichnen. Sie mochte Anfang, Mitte Zwanzig sein. Ich gab Malta Kano das Foto zurück, und sie steckte es wieder in seinen Umschlag und diesen in die Tasche. Dann ließ sie den Verschluß zuschnappen.
»Meine Schwester ist fünf Jahre jünger als ich«, sagte sie. »Sie wurde von Noboru Wataya beschmutzt. Vergewaltigt.«
Entsetzlich. Mein erster Impuls war, schleunigst das Weite zu suchen. Aber ich konnte nicht einfach aufstehen und gehen. Ich zog ein Taschentuch aus der Tasche meines Jacketts, wischte mir damit den Mund ab und steckte es wieder zurück. Dann räusperte ich mich.
»Das ist ja schrecklich«, sagte ich. »Ich höre davon zum erstenmal, aber wenn er Ihrer Schwester wirklich wehgetan hat, möchte ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl aussprechen. Allerdings muß ich Ihnen sagen, daß mein Schwager und ich praktisch nichts miteinander zu tun haben. Wenn Sie also irgendeine Art von Ent-«
»Durchaus nicht, Herr Okada«, erklärte sie. »Ich mache Sie in keiner Weise dafür verantwortlich. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der für den Vorfall verantwortlich gemacht werden kann, so bin ich es. Wegen mangelnder Achtsamkeit. Weil ich sie nicht so beschützt habe, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Leider machten es mir gewisse Ereignisse unmöglich, dieser Pflicht nachzukommen. Solche Dinge können passieren, Herr Okada. Wie sie wissen, leben wir in einer brutalen und chaotischen Welt. Und in dieser Welt gibt es bestimmte Orte, die sogar noch brutaler, noch chaotischer sind. Verstehen Sie, was ich meine, Herr Okada? Was geschehen ist, ist geschehen. Meine Schwester wird sich von ihren Wunden, ihrer Beschmutzung erholen. Sie muß. Gott sei dank waren sie nicht lebensgefährlich. Wie ich meiner Schwester gesagt habe, hätte auch etwas weit, weit Schlimmeres passieren können - das Potential war da. Was mir am meisten Gedanken bereitet, sind die Elemente ihres
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