Mister Aufziehvogel
Also improvisierte ich mit dem, was ich im Kühlschrank fand, eine einfache Mahlzeit, und dazu tranken wir jeder ein Bier. Kumiko erzählte von der Arbeit, wie sie es immer tat, wenn sie gutgelaunt war: wen sie in der Redaktion gesehen hatte, was sie getan hatte, welche ihrer Kollegen talentiert waren und welche nicht. Solche Dinge. Ich hörte zu und zeigte angemessene Reaktionen. Ich bekam nicht mehr als die Hälfte von dem mit, was sie sagte. Nicht, daß ich ihr ungern zuhörte, wenn sie über diese Dinge sprach. Unabhängig vom konkreten Gesprächsthema sah ich sie gern an, wenn sie am Eßtisch voller Enthusiasmus über ihre Arbeit redete. Das, sagte ich mir, war »zu Hause«. Jeder von uns beiden tat, was ihm an häuslichen Pflichten aufgetragen war, und tat seine Sache gut. Sie redete über ihre Arbeit, und ich hatte das Abendessen vorbereitet und hörte ihr jetzt beim Reden zu. Das wich erheblich von dem Zuhause ab, das ich mir vor der Heirat vage ausgemalt hatte, aber dies war das Zuhause, das ich gewählt hatte. Natürlich hatte ich auch als Kind ein Zuhause gehabt. Aber ich hatte es mir nicht ausgesucht. Ich war hineingeboren worden, hatte es als vollendete Tatsache vorgefunden. Jetzt hingegen lebte ich in einer Welt, die ich selbst bewußt gewählt hatte. Es war mein Zuhause. Es war vielleicht nicht vollkommen, aber meine grundsätzliche Haltung ihm gegenüber bestand darin, es mit allen Vor- und Nachteilen zu akzeptieren, weil es etwas war, was ich mir selbst ausgesucht hatte. Wenn es Probleme mit sich brachte, dann beinahe sicher solche, die ihre Ursache in mir selbst hatten.
»Also was ist mit dem Kater?« fragte sie. Ich gab ihr einen kurzen Bericht über mein Treffen mit Malta Kano im Hotel in Shinagawa. Ich erzählte ihr von meinem gepunkteten Schlips: daß im Kleiderschrank keine Spur von ihm gewesen sei. Daß Malta Kano es trotzdem geschafft habe, mich im überfüllten Tea-room ausfindig zu machen. Daß sie eine ganz eigene Art habe, sich zu kleiden und zu reden, wofür ich einige Beispiele gab. Kumiko amüsierte sich über Malta Kanos roten Vinylhut, aber als ich mich außerstande zeigte, auf die Frage nach dem Verbleib unseres Katers eine klare Antwort zu geben, war sie zutiefst enttäuscht. »Dann weiß sie also auch nicht, wo der Kater ist?« fragte Kumiko. »Mehr, als dir zu sagen, daß er nicht mehr in unserer Nachbarschaft ist, hat sie nicht zustande gebracht?«
»Nein, das war’s in etwa«, sagte ich. Vom »blockierten Fluß« des Hauses, in dem wir wohnten, oder davon, daß das Verschwinden des Katers etwas damit zu tun haben könnte, erzählte ich ihr lieber nichts. Ich wußte, daß es Kumiko beunruhigt hätte, und was mich betraf, hatte ich nicht das geringste Bedürfnis, die Anzahl der Dinge, über die wir uns Sorgen machen konnten, noch weiter zu erhöhen. Wenn Kumiko darauf bestanden hätte, von hier wegzuziehen, weil es ein »schlechter Ort« sei, dann hätten wir ein ernstes Problem gehabt. Bei unserer derzeitigen finanziellen Situation kam ein Umzug für uns absolut nicht in Betracht. »Das hat sie mir jedenfalls gesagt«, sagte ich. »Der Kater ist nicht mehr in dieser Gegend.«
»Heißt das, daß er nie wieder zurückkommt?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Sie hat sich in allem sehr unbestimmt ausgedrückt. Mehr als ein paar kleine Andeutungen waren nicht aus ihr herauszuholen. Allerdings hat sie gesagt, daß sie sich wieder bei mir melden würde, wenn sie mehr erfahren sollte.«
»Glaubst du ihr?«
»Wer weiß? Mit solchen Sachen kenne ich mich nicht aus.« Ich goß mir Bier nach und sah zu, wie der Schaum sich langsam setzte. Kumiko stützte den Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die Hand. »Sie hat dir bestimmt gesagt, daß sie keinerlei Bezahlung oder Geschenke annimmt«, sagte sie.
»M-hm. Das ist auf jeden Fall ein Plus«, sagte ich. »Also wo ist das Problem? Sie wird uns kein Geld abnehmen, sie wird uns unsere Seele nicht rauben, sie wird die Prinzessin nicht entführen. Wir haben nichts zu befürchten.«
»Ich möchte, daß du eins begreifst«, sagte Kumiko. »Dieser Kater bedeutet mir sehr viel. Vielleicht sollte ich sagen: uns. Wir haben ihn in der Woche nach unserer Heirat gefunden. Zusammen. Weißt du noch?«
»Natürlich.«
»Er war so winzig klein, und völlig vom Regen durchweicht. Ich hatte dich mit dem Regenschirm am Bahnhof abgeholt. Armes kleines Kätzchen. Wir haben ihn auf dem Heimweg gesehen - jemand hatte ihn in einen Bierkasten
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