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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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neben sie. Dann nannte sie sehr deutlich eine Adresse im eleganten Stadtteil Aoyama an und sagte danach nichts mehr, bis uns der Fahrer durch den dichten Verkehr bis zum Aoyama-Boulevard manövriert hatte. Ich sah mir die Sehenswürdigkeiten Tokios an, die am Fenster vorüberzogen. Es gab mehrere neue Gebäude, die ich noch nie gesehen hatte. Die Dame holte ein Notizbüchlein aus ihrer Handtasche und schrieb mit einem kleinen goldenen Stift etwas hinein. Ab und zu warf sie einen Blick auf ihre Uhr, als überprüfe sie einen Zeitplan. Die Uhr war in ein goldenes Armband eingelassen. All die kleinen Accessoires, die sie bei sich hatte, schienen aus Gold zu sein. Oder verwandelten sie sich vielmehr in dem Augenblick, da sie von ihr berührt wurden, in Gold? Sie ging mit mir in eine Boutique auf dem Omote Sando, die exklusive Marken führte. Dort suchte sie zwei Anzüge für mich aus, beide aus einem dünnen Material, der eine blaugrau, der andere dunkelgrau. Das waren Anzüge, die ich in der Kanzlei nicht hätte tragen können; sie fühlten sich sogar teuer an. Die Dame gab keinerlei Erklärungen, und ich verlangte keine. Ich tat einfach, was man mir sagte. Das Ganze erinnerte mich an sogenannte experimentelle Filme, die ich auf dem College gesehen hatte. Solche Filme erklärten nie, was in ihnen geschah. Erklärungen waren verpönt als ein Übel, das die filmische Wirklichkeit nur zerstören konnte. Sicher, so konnte man denken, so konnte man die Dinge sehen, aber als wirklicher, lebendiger Mensch in eine solche Welt einzutauchen, war für mich ein befremdliches Gefühl.
    Ich bin von durchschnittlicher Statur, und so brauchte an den Anzügen bis auf die Länge der Ärmel und Hosenbeine nichts geändert zu werden. Die Dame suchte drei elegante Hemden und zu jedem eine passende Krawatten aus, dann zwei Gürtel und ein halbes Dutzend Paar Socken. Sie zahlte mit einer Kreditkarte und ordnete an, daß alles an meine Adresse geliefert würde. Sie schien eine sehr genaue Vorstellung davon zu haben, wie ich aussehen sollte; sie brauchte beim Auswählen der Sachen keinen Augenblick nachzudenken. Ich hätte länger gebraucht, um mir auch nur in einem Schreibwarenladen einen neuen Radiergummi auszusuchen. Aber ich mußte zugeben, daß sie, was Kleidung anging, einen ganz erstaunlich guten Geschmack hatte. Jedes Hemd und jede Krawatte, auf die sie scheinbar wahllos deutete, paßten in Farbton und Stil so perfekt zusammen, als habe sie die Stücke nachlanger, sorgfältiger Überlegung ausgewählt. Zudem waren die Kombinationen, für die sie sich entschied, nicht im mindesten alltäglich. Als nächstes führte sie mich in ein Schuhgeschäft und kaufte mir zwei zu den Anzügen passende Paar Schuhe. Auch das ging im Handumdrehen. Wieder bezahlte sie mit einer Kreditkarte und ordnete an, die Sachen sollten zu mir nach Hause geschickt werden. Das kam mir zwar für zwei Paar Schuhe wie ein übertriebener Aufwand vor, aber so war sie es offenbar gewöhnt, Einkäufe zu erledigen: schnell aussuchen, mit einer Kreditkarte zahlen und sich die Ware liefern lassen. Von dort gingen wir in ein Uhrmachergeschäft und wiederholten das Spiel. Sie kaufte mir eine stilvolle, elegante Uhr mit einem zu den Anzügen passenden Krokodillederarmband, und wieder brauchte sie kaum zu überlegen. Der Preis lag irgendwo bei fünfzig-, sechzigtausend Yen. Ich besaß eine billige Plastikuhr, aber die war ihr offenbar nicht gut genug. Wenigstens die Uhr ließ sie nicht nach Hause liefern. Sie ließ sie sich als Geschenk einpacken und reichte sie mir ohne ein Wort.
    Als nächstes führte sie mich in einen Frisiersalon für Damen und Herren. Der Raum sah aus wie ein Ballettstudio, mit blanken Parkettböden und ganz mit Spiegeln bedeckten Wänden. Es gab fünfzehn Friseursessel, und überall war ein Kommen und Gehen von geschäftigen Hair-Stylisten mit Scheren und Haarbürsten und was weiß ich nicht alles in den Händen. Wohlplaziert standen hier und da Topfpflanzen auf dem Fußboden, und aus zwei an der Decke befestigten schwarzen Bose-Boxen rieselten die leisen Klänge eines dieser weitschweifigen Keith-Jarrett-Soli. Ich wurde unverzüglich zu einem Sessel geführt; die Dame mußte von einem der Geschäfte aus, in denen wir gewesen waren, einen Termin für mich vereinbart haben. Sie erteilte dem dünnen Mann, der mir die Haare schneiden würde, genauste Instruktionen. Offenkundig kannten sie einander. Während er aufmerksam ihren Anweisungen lauschte, fixierte er

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