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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nebeneinander hingelegt. Sie sind nagelneu. Ich hab sie grad im Schreibwarengeschäft gekauft - extra, um Ihnen zu schreiben (ich sag das nicht, damit Sie sich gebauchpinselt fühlen oder so: Frisch gespitzte, funkelnagelneue Bleistifte sind einfach was Hübsches, finden Sie nicht?). Außerdem hab ich einen Aschenbecher und Zigaretten und Streichhölzer. Ich rauch nicht mehr so viel wie früher, nur ab und zu, um in eine andere Stimmung zu kommen (wie jetzt zum Beispiel). Das ist also alles, was auf meinem Schreibtisch liegt. Der Schreibtisch steht vor einem Fenster, und am Fenster sind Gardinen. Die Gardinen haben ein süßes Blümchenmuster - nicht, daß ich die ausgesucht hätte oder so: Die gehören zum Fenster dazu. Dieses Blümchenmuster ist das einzige, was hier nicht total schlicht und einfach aussieht. Das hier ist das ideale Zimmer für ein Mädchen meines Alters - oder vielleicht auch nicht. Nein, es ist eher eine humane Mustergefängniszelle für jugendliche Ersttäter. Im Regal steht mein Radiorekorder (der große - wissen Sie noch, Mister Aufziehvogel?), und ich hör mir grad Bruce Springsteen an. Es ist Sonntagnachmittag, und alle anderen sind ausgegangen, um sich zu amüsieren, und so ist niemand da, der sich beschwert, wenn ich die Lautstärke voll aufdrehe. Das einzige Vergnügen, das ich mir zur Zeit gönne, ist, am Wochenende in den nächsten Ort zufahren und in einem Plattenladen die Musikkassetten zu kaufen, die ich grad haben will. (Bücher kauf ich mir so gut wie keine. Wenn ich was Bestimmtes lesen will, kann ich es in unserer kleinen Bücherei ausleihen.) Mit meiner Zimmernachbarin komm ich inzwischen ganz gut aus. Sie hat sich einen Gebrauchtwagen gekauft, und so kann ich mit ihr mitfahren, wenn ich in die Stadt möchte. Und wissen Sie was? Ich hab damit fahren gelernt. Hier gibt’s so viel Platz, da kann ich üben, so viel ich will. Ich hab zwar noch keinen Führerschein, aber fahren kann ich schon ganz gut. Aber um ehrlich zu sein, abgesehen vom Kassettenkaufen ist’s kein besonderes Vergnügen, in den Ort fahren. Alle sagen, einmal die Woche müßten sie hier raus, sonst würden sie durchdrehen, aber mein Ausgleich ist, hierzubleiben, wenn alle anderen weg sind, und mir meine Lieblingsmusik anzuhören. Einmal bin ich mit meiner Freundin zu so einer Art gemischtem Doppel ausgegangen, im Auto. Nur, um ’s mal auszuprobieren. Sie ist aus der Gegend, drum kennt sie einen Haufen Leute. Mein Typ war soweit ganz nett, ein Collegestudent, aber ich weiß nicht, da sind noch immer alle möglichen Dinge, die ich nicht richtig auf die Reihe kriege, gefühlsmäßig, mein ich. Es ist so, als wären alle anderen da draußen, weit weg, aufgereiht wie Puppen in einer Schießbude, und zwischen mir und den Puppen hängen lauter durchsichtige Vorhänge.
    Ehrlich gesagt, als wir uns in dem Sommer immer getroffen haben, Mister Aufziehvogel, als wir am Küchentisch gesessen und geredet und Bier getrunken haben und so, da hab ich mir immer überlegt: Was würd ich tun, wenn Mister Aufziehvogel sich plötzlich auf mich stürzen und versuchen würde, mich zu vergewaltigen? Ich hatte keine Ahnung, was ich dann tun würde. Natürlich hätte ich mich gesträubt und gesagt: » Nein, Mister Aufziehvogel, das dürfen Sie nicht! « Aber gleichzeitig hätte ich auch gedacht, daß ich Ihnen erklären müßte, warum es falsch wäre und warum Sie das nicht tun dürften, und je mehr ich darüber nachgedacht hätte, desto mehr wäre ich durcheinander gekommen, und in der Zwischenzeit wären Sie wahrscheinlich damit fertig gewesen, mich zu vergewaltigen. Mein Herz hämmerte immer wie verrückt, wenn ich daran dachte, und ich fand die ganze Sache ziemlich unfair. Ich wette, Sie haben nie die leiseste Ahnung gehabt, daß mir solche Gedanken durch den Kopf gingen. Finden Sie das idiotisch? Wahrscheinlich schon.
    Ich meine, es ist ja auch wirklich idiotisch. Aber damals habe ich diese Dinge absolut, total hundertprozentig ernst genommen. Und das ist, glaub ich, auch der Grund, warum ich damals die Strickleiter aus dem Brunnen rausgezogen und den Deckel draufgesetzt hab, während Sie da unten drinsaßen, um Sie gewissermaßen wegzusperren. Auf die Art würde kein Mister Aufziehvogel mehr da sein, und ich würde mich eine Zeitlang nicht mehr mit diesen Gedanken herumzuärgern brauchen.
    Aber es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte Ihnen (oder sonstwem) das nie antun dürfen. Aber manchmal kann ich nicht anders. Ich weiß dann ganz

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