Mister Aufziehvogel
mein Gesicht im Spiegel mit einer Miene, als musterte er eine Schüssel voller Bohnenfäden, die er gleich würde essen müssen. Er hatte ein Gesicht wie der junge Solschenizyn. Die Dame sagte zu ihm: »Bis Sie fertig sind, bin ich wieder zurück«, und verließ den Salon mit raschen Schritten.
Während er mir die Haare schnitt, sagte der Mann sehr wenig - »Bitte hier entlang«, als es Zeit für meine Haarwäsche war, »Verzeihung«, als er mir Haarschnipsel abbürstete. Wenn er sich gelegentlich entfernte, streckte ich eine Hand unter dem Frisierumhang hervor und berührte den Fleck auf meiner rechten Wange. Dies war das erste Mal überhaupt, daß ich ihn in einem fremden Spiegel sah, außerhalb meiner eigenen vier Wände. Die wandhohen Spiegel reflektierten die Bilder vieler Leute, darunter auch meines. Und in meinem Gesicht prangte dieses leuchtend blaue Mal. Auf mich wirkte es nicht häßlich oder unsauber. Es war schlicht ein Teil von mir, etwas, was ich würde akzeptieren müssen. Von Zeit zu Zeit spürte ich, wie jemand darauf blickte - das Spiegelbild davon ansah. Aber es gab im Spiegel zu viele Gesichter, als daß ich hätte sagen können, wer da gerade hinschaute. Ich spürte einfach, daß fremde Blicke auf mein Mal gerichtet waren.
Nach einer halben Stunde war mein Haarschnitt fertig. Meine Haare, die ich seit meiner Kündigung immer länger hatte wachsen lassen, waren jetzt wieder kurz. Ich setzte mich auf einen der Stühle, die entlang der Wand standen, hörte mir Musik an und las in einer Zeitschrift, die mich beide nicht interessierten, bis die Dame zurückkam. Meine neue Frisur schien ihr zu gefallen. Sie nahm einen Zehntausend-Yen-Schein aus ihrem Portemonnaie, zahlte und führte mich hinaus. Dort blieb sie stehen und betrachtete mich - genau so, wie ich den Kater inspiziert hatte -, von Kopf bis Fuß, als wolle sie feststellen, ob sie noch etwas vergessen hatte. Anscheinend fehlte nichts. Dann warf sie einen Blick auf ihre goldene Uhr und gab so etwas wie ein Seufzen von sich. Es war fast sieben. »Gehen wir essen«, sagte sie. »Werden Sie Appetit haben?« Ich hatte zum Frühstück eine Scheibe Toast und zu Mittag ein Doughnut gegessen. »Wahrscheinlich«, sagte ich.
Sie führte mich in ein nahegelegenes italienisches Restaurant. Dort schien man sie zu kennen. Ohne ein Wort führte man uns nach hinten an einen ruhigen Tisch. Kaum hatte ich mich ihr gegenübergesetzt, befahl sie mir, alles auf den Tisch zu legen, was ich in den Hosentaschen hatte. Ich gehorchte, ohne etwas zu sagen. Meine Wirklichkeit schien sich von mir abgelöst zu haben und schweifte jetzt irgendwo in der Nähe umher. Hoffentlich findet sie mich wieder, dachte ich. In meinen Taschen befand sich nichts Besonderes: Schlüsselbund, Taschentuch, Brieftasche. Die Dame betrachtete das Ganze ohne erkennbares Interesse, dann nahm sie die Brieftasche in die Hand und sah hinein. Sie enthielt ungefähr fünfeinhalbtausend Yen in Scheinen, eine Telefonkarte, eine Bankcard und meinen Hallenbadausweis, und das war’s. Nichts Außergewöhnliches. Nichts was irgendjemanden dazu bringen könnte, daran zu schnuppern, ein Zentimetermaß daranzuhalten, es zu schütteln, in Wasser zu tauchen oder gegen das Licht zu halten. Die Dame gab mir die Brieftasche mit unveränderter Miene zurück. »Ich möchte, daß Sie morgen in die Stadt fahren und sich ein Dutzend Taschentücher, ein neues Portemonnaie und eine Schlüsseltasche kaufen«, sagte sie. »Das schaffen Sie bestimmt auch allein. Und wann haben Sie sich das letzte Mal neue Unterwäsche gekauft?«
Ich dachte einen Augenblick nach, aber ich konnte mich nicht erinnern. »Ich kann mich nicht erinnern«, sagte ich. »Es muß wohl eine Weile hersein, aber ich bin ein ziemlicher Sauberkeitsfanatiker, und für einen Mann, der allein wohnt, halte ich meine Wäsche ziemlich -«
»Schon gut. Ich möchte, daß sie sich ein Dutzend Unterhemden und Slips kaufen.«
Ich nickte, ohne etwas zu sagen.
»Bringen Sie mir einfach die Quittung. Ich bezahle alles. Und achten Sie darauf, daß Sie das Beste kaufen, was es jeweils gibt. Ich werde auch Ihre Wäscherechnungen übernehmen. Tragen Sie kein Hemd mehr als einmal, ohne es vorher in die Wäscherei zu geben. In Ordnung?«
Ich nickte wieder. Der Typ von der Reinigung am Bahnhof würde sich freuen, das zu hören. Aber -, dachte ich, um diese konzise, kraft Oberflächenspannung an der Fensterscheibe haftende Konjunktion alsbald zu einem korrekten,
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