Mister Aufziehvogel
hängt schwer in der Luft. Neben der Tür befindet sich eine große Stehlampe, aber ihre Glühbirne ist weiß und tot wie der Mond der Frühe. Dennoch, wenn ich unverwandt schaue, beginne ich nach einer Weile in dem Rest von Licht, das irgendwie doch in den Raum dringt, die Umrisse von Gegenständen zu erkennen - so wie sich die Augen im Kino allmählich an die Dunkelheit gewöhnen. Auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Zimmers steht eine gerade erst angebrochene Flasche Cutty Sark. Der Eiskübel enthält (nach den scharfen, klaren Kanten zu urteilen) frisch gebrochene Eisstücke, und jemand hat das Glas, das da steht, mit einem Scotch on the rocks gefüllt. Ein Edelstahltablett auf dem Tisch bildet einen stillen kalten Weiher. Es ist unmöglich, die Tageszeit zu schätzen. Es könnte Morgen, Abend, oder auch tiefe Nacht sein. Oder vielleicht kennt dieser Ort einfach keine Zeit. Auf dem Bett im hinteren Raum der Suite liegt eine Frau. Ich höre, wie sie sich zwischen den Laken bewegt. Das Eis in ihrem Glas klirrt angenehm. In der Luft schwebende winzige Pollenkörnchen erbeben von dem Geräusch wie lebende Organismen. Jede winzige Schallwelle, die die Luft durchkräuselt, läßt weitere Stäubchen plötzlich zum Leben erwachen. Die bleiche Dunkelheit öffnet sich dem Pollen, und der Pollen, der Dunkelheit einverleibt, verstärkt deren Dichte. Die Frau führt ihr Whiskyglas an die Lippen, gestattet einigen wenigen Tropfen, ihre Kehle hinabzuperlen, und dann versucht sie, mich anzusprechen. Im Schlafzimmer ist es dunkel. Außer der undeutlichen Bewegung von Schatten kann ich nichts erkennen. Aber die Frau hat mir etwas zu sagen. Ich warte darauf, daß sie spricht. Ich warte darauf, ihre Worte zu hören. Sie sind da.
Wie ein Pappmaché-Vogel, der an einem Pappmaché-Himmel hängt, sehe ich die Zimmer von oben. Ich vergrößere den Bildausschnitt, ziehe mich zurück und überblicke das Ganze, dann zoome ich heran, um die Details zu vergrößern. Natürlich ist jedes Detail von großer Bedeutung. Ich nehme mir jedes einzelne vor, untersuche seine Form, Farbe und Beschaffenheit. Zwischen einem Detail und dem anderen besteht keinerlei Verbindung, keinerlei Wärme. Im Moment ist meine einzige Tätigkeit eine mechanische Bestandsaufnahme von Details. Es ist einen Versuch wert. Ebenso wie früher oder später Wärme und Feuer entstehen, wenn man Steine oder Stöckchen aneinanderreibt, nimmt nach und nach eine zusammenhängende Wirklichkeit Gestalt an. Es funktioniert nach demselben Prinzip, wie durch das Aneinanderreihen zufälliger Laute eine einzelne Silbe entsteht, durch monotone Wiederholung des zunächst bedeutungslos Erscheinenden.
Ich spüre, wie dieser schwache Zusammenhang in den fernsten Tiefen der Dunkelheit an Festigkeit zunimmt. Ja, das ist es, so wird’s gehen. Es ist sehr ruhig hier, und »sie« haben meine Anwesenheit noch nicht bemerkt. Ich fühle, daß die Wand, die mich von jenem Ort trennt, schmilzt, zu einer geleeartigen Masse wird. Ich halte den Atem an. Jetzt!
Doch in dem Augenblick, in dem ich den Schritt auf die Wand zu mache, ertönt ein hartes Pochen, als wüßten sie, was ich vorhabe. Jemand schlägt gegen die Tür. Es ist das Klopfgeräusch, das ich schon einmal gehört habe, ein herrisches Hämmern, als versuche jemand, einen Nagel glatt durch die Wand zu treiben. Der Rhythmus ist wieder der gleiche: zwei Schläge, Pause, zwei Schläge. Die Frau hält hörbar den Atem an. Der schwebende Pollen erzittert, und die Dunkelheit verschiebt sich mit einem Ruck. Das brutale Geräusch rammt die Öffnung zu, die endlich begonnen hatte, sich vor mir aufzutun. So läuft es jedesmal ab.
Und wieder bin ich in meinem Körper und sitze auf dem Grund des Brunnens, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Hände um den Baseballschläger. Langsam spüren meine Hände wieder, wie die Welt »diesseits« sich anfühlt; es ist, wie wenn ein verschwommenes Bild allmählich schärfer wird. Ich spüre den Film von Schweiß auf meinen Handflächen. Das Herz hämmert mir in der Kehle. Das Geräusch jenes harten, weltdurchbohrenden Klopfens hallt mir lebhaft in den Ohren nach, und ich höre noch, wie sich im Dunkeln der Türknauf langsam dreht. Jemand (oder etwas) da draußen ist dabei, die Tür zu öffnen, will eintreten, doch genau in diesem Augenblick verflüchtigen sich alle Bilder. Die Wand ist so hart wie eh und je, und ich werde auf diese Seite zurückgeschleudert. Im Dunkeln klopfe ich mit dem Ende des
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