Mister Aufziehvogel
Ich meine, es war von vornherein ein trockener Brunnen, und sie haben nur den letzten Zustand wiederhergestellt, deswegen konnten sie auch kein Wasser finden. Ich weiß nicht, es war irgendwie merkwürdig - als hätten sie einen bestimmten Grund für das gehabt, was sie da taten.«
Leider ist es uns nicht gelungen, die Firma ausfindig zu machen, die den Brunnen gegraben hat, wohl aber konnten wir ermitteln, daß der Mercedes 500 SEL Eigentum einer größeren Auto-Leasing-Firma mit Hauptsitz im Chiyoda-Bezirk ist und daß das Fahrzeug im Juli für ein Jahr von einer Gesellschaft aus dem Stadtbezirk Minato geleast wurde. Die Leasing-Firma konnte uns den Namen ihres Kunden nicht nennen, aber unter den gegebenen Umständen dürfte es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um Akasaka Research handeln. Am Rande sei angemerkt, daß die jährlichen Leasingkosten für einen Mercedes 500 SEL - Yen schätzungsweise betragen. Die Firma bietet jeden Wagen mit Chauffeur an, aber wir konnten nicht ermitteln, ob der besagte 500 SEL mit oder ohne Fahrer geleast wurde.
Die Leute in der Nachbarschaft waren nicht sonderlich darauf erpicht, über das »Selbstmörderhaus« zu reden. Die Einwohner dieses Viertels pflegen offenbar untereinander keine engen Kontakte, und die meisten möchten wahrscheinlich in nichts hineingezogen werden. Herr A., ein Nachbar, sagte uns:
»Als sie hier eingezogen sind, habe ich anfangs die Augen offengehalten und mir so meine Gedanken über die Leute gemacht, aber ich bin sicher, es sind weder Gangster noch irgendeine politische Organisation, dazu gehen da viel zuwenig Leute ein und aus. Ich werde nicht schlau aus der Sache. Zwar sind die Sicherheits-vorkehrungen schon ziemlich auffällig, aber ich persönlich sehe keinen Grund, mich zu beklagen, und ich glaube auch nicht, daß sich einer der übrigen Nachbarn dadurch belästigt fühlt. Es ist auf jeden Fall besser so, als dieses leerstehende Haus zu haben, mit all den unheimlichen Gerüchten.« Trotzdem wüßten wir gern, wer der neue Eigentümer ist und wie dieser »Mister X« das Anwesen nutzt. Aber das »Selbstmörderhaus« gibt sein Geheimnis nicht preis.
8
U NTEN IM BRUNNEN
Ich steige die in der Brunnenwand verankerte stählerne Sprossenleiter hinab und taste, unten angelangt, im Dunkeln nach dem Schläger, den ich hier immer an die Wand gelehnt zurücklasse - nach jenem Schläger, den ich seinerzeit, ohne es zu merken, aus dem Haus mitgenommen hatte, in das ich dem Mann mit dem Gitarrenkasten gefolgt war. Den zerkratzten alten Schläger in der Dunkelheit auf dem Grund des Brunnens zu berühren erfüllt mich mit einem seltsamen Gefühl von Frieden. Zudem hilft es mir, mich zu konzentrieren.
Sobald ich den Schläger gefunden habe, schließe ich die Hände fest um den Griff, wie ein Baseballspieler, der das Schlagmal betritt, und vergewissere mich so, daß es mein Schläger ist. Anschließend überprüfe ich, ob sich hier unten in der Dunkelheit, in der es nichts zu sehen gibt, auch nichts verändert hat. Ich lausche angestrengt nach irgend etwas Neuem; ich atme tief die Luft ein; ich scharre mit der Schuhsohle am Boden; ich klopfe mit der Spitze des Schlägers ein paarmal leicht gegen die Wand, um ihre Härte zu prüfen. Das alles sind Rituale, die nur den Zweck haben, mich zu beruhigen. Der Grund des Brunnens ist wie der Meeresgrund; hier unten bleiben die Dinge ganz still, sie wahren ihre ursprüngliche Form, Tag für Tag, wie unter ungeheuren Druck.
Hoch oben über mir schwebt eine runde Scheibe Licht: der Abendhimmel. Während ich zu ihm aufschaue, denke ich an die oktoberabendliche Welt, in der »die Leute« wohl gerade den Geschäften ihres Lebens nachgehen. In diesem blassen Herbstlicht hasten sie Straßen entlang, kaufen ein, bereiten das Abendessen vor, besteigen Pendlerzüge, die sie nach Haus bringen sollen. Und sie denken (wenn sie überhaupt denken), diese Dinge seien zu selbstverständlich, als daß es sich lohnte, darüber nachzudenken - genau wie ich früher dachte (beziehungsweise nicht dachte). Sie werden unter dem vagen Begriff »Leute« zusammengefaßt, und auch ich habe früher zu diesen Namenlosen gehört. Geduldig und geduldet leben sie miteinander unter diesem Licht, und solange sie vom Licht umhüllt sind, muß eine Art von Nähe entstehen, ob nun für immer oder nur für einen Augenblick. Ich allerdings bin keiner mehr von ihnen. Sie sind da oben, auf dem Antlitz der Erde; ich bin hier unten, auf dem Grund eines
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