Mister Aufziehvogel
geworfen, in der Nähe des Spirituosenladens. Er ist meine allererste Katze. Er bedeutet mir viel, er ist etwas wie ein Symbol. Ich darf ihn nicht verlieren.«
»Mach dir keine Sorgen. Das weiß ich.«
»Also wo ist er dann? Er ist inzwischen seit zehn Tagen verschwunden. Deswegen habe ich ja meinen Bruder angerufen. Ich dachte, er kennt vielleicht ein Medium oder einen Hellseher oder was weiß ich - jemanden, der imstande wäre, eine entlaufene Katze zu finden. Ich weiß, daß du was dagegen hast, meinen Bruder um irgend etwas zu bitten, aber er ist in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Er kennt sich in diesen Dingen sehr gut aus.«
»Ah ja, die Watayasche Familientradition«, sagte ich so kühl wie eine Abendbrise über einer Bucht. »Aber was haben Noboru Wataya und diese Frau eigentlich miteinander zu tun?«
Kumiko zuckte die Achseln. »Ich bin sicher, sie ist einfach jemand, den er zufällig irgendwo kennengelernt hat. Er scheint neuerdings sehr viele Beziehungen zu haben.«
»Jede Wette.«
»Er sagt, daß sie unwahrscheinliche Fähigkeiten besitzt, aber auch ganz schön seltsam ist.« Kumiko stocherte in ihren überbackenen Makkaroni herum. »Wie heißt sie noch mal?«
»Malta Kano«, sagte ich. »Sie hat auf Malta irgendwelche asketischen Übungen getrieben.«
»Genau. Malta Kano. Was hältst du von ihr?«
»Schwer zu sagen.« Ich sah auf meine Hände, die flach auf dem Tisch lagen. »Zumindest war sie nicht langweilig. Und das ist schon was. Ich meine, die Welt ist voll von Dingen, die wir nicht erklären können, und irgend jemand muß dieses Vakuum ja ausfüllen. Da ist es auf alle Fälle besser, wenn dieser Jemand kein Langweiler ist, stimmt’s? Wie Herr Honda, zum Beispiel.«
Bei der Erwähnung Herrn Hondas lachte Kumiko laut auf. »Er war ein wunderbarer alter Mann, meinst du nicht auch? Ich mochte ihn unheimlich gern.«
»Ich auch«, sagte ich.
Das ganze erste Jahr nach unserer Heirat besuchten Kumiko und ich Herrn Honda regelmäßig einmal im Monat. Er war ein Spezialist für Geisterarbeit und eines der Lieblingsmedien der Familie Wataya, aber er war furchtbar schwerhörig. Selbst mit seinem Hörgerät verstand er das, was wir ihm sagten, nur mit Müh und Not. Wir mußten so laut brüllen, daß unsere Stimmen die Papierbespannung der Schiebetür zum Knattern brachten. Ich fragte mich immer, ob er bei seiner Schwerhörigkeit überhaupt verstehen konnte, was die Geister zu ihm sagten. Aber vielleicht war es auch genau umgekehrt: Je schlechter die Ohren waren, desto besser hörte man die Worte der Geister. Er hatte sein Gehör im Krieg verloren. Er hatte als Unteroffizier in Japans mandschurischer Garnison gedient, der Kwantung-Armee, und seine Trommelfelle waren geplatzt, als während einer Schlacht gegen eine sowjetisch-mongolische Einheit bei Nomonhan, an der Grenze zwischen der Äußeren Mongolei und der Mandschurei, in seiner Nähe ein Artilleriegeschoß oder eine Handgranate oder sonstwas explodiert war. Unsere Besuche bei Herrn Honda hingen nicht etwa damit zusammen, daß wir an seine spirituellen Fähigkeiten geglaubt hätten. Ich hatte mich noch nie für derlei Dinge interessiert, und Kumiko war vom Wahrheitsgehalt solcher übernatürlichen Dinge auf jeden Fall weit weniger überzeugt als ihre Eltern und ihr Bruder. Sie hatte zwar schon einen gewissen Hang zum Aberglauben, und eine unheilkündende Weissagung konnte sie durchaus beunruhigen, aber man konnte nicht sagen, daß sie sich auf irgendeine Weise aktiv in spirituellen Dingen engagiert hätte. Der einzige Grund, warum wir Herrn Honda aufsuchten, war der, daß ihr Vater es uns befohlen hatte. Nur unter dieser Bedingung hatte er in unsere Heirat eingewilligt. Zugegeben, es war eine ziemlich bizarre Bedingung, aber um Komplikationen zu vermeiden, hatten wir uns gefügt. Keiner von uns beiden hatte erwartet, daß wir es mit ihrer Familie leicht haben würden. Ihr Vater war Regierungsbeamter. Als jüngerer Sohn eines nicht sehr wohlhabenden Gutsbesitzers aus Niigata hatte er mit Hilfe eines Stipendiums die angesehene Tokio-Universität besucht, hatte sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und mit der Zeit eine hohe Stellung im Verkehrsministerium erreicht. Das war, soweit es mich betraf, alles sehr bewundernswert. Aber wie viele Männer, die sich aus eigener Kraft so hoch hinaufgearbeitet haben, war er arrogant und selbstgerecht. Gewohnt, Befehle zu erteilen, hegte er nicht die leisesten Zweifel an der Allgemeingültigkeit
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