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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Heiraten fanden, was das Problem mit dem Bevölkerungsschwund noch weiter verschlimmert hat. Also hat sich der Gemeinderat zusammengesetzt und hat verschiedenen Unternehmen dieses große Gelände angeboten, damit sie hier eine Fabrik bauten und die Mädchen nicht mehr wegzuziehen bräuchten. Ich finde, das war eine tolle Idee. Ich meine, überlegen Sie doch mal, die haben sogar jemand wie mich dazu gekriegt, hier in die Pampa rauszuziehen! Wenn sie also mit der Schule fertig sind (oder vorher abgehen, wie ich), dann kommen alle Mädchen in die Fabrik arbeiten und sparen ihren Lohn, und wenn sie alt genug sind, heiraten sie und kündigen und kriegen ein paar Blagen und werden zu fetten Walroßkühen, die eine wie die andere aussieht. Natürlich gibt’s ein paar, die auch nach der Heirat weiterarbeiten, aber die meisten hören auf.
    Damit müßten Sie eigentlich von dem Laden hier eine ganz gute Vorstellung haben. Okay?
     
    Jetzt lautet also die nächste Frage für Sie: Was stellen sie in dieser Fabrik her?
    Tip: Wir beide haben mal zusammen einen Job gemacht, der was damit zu tun hatte. Wissen Sie noch? Wir sind auf die Ginza und haben eine Erhebung gemacht. Ach, kommen Sie schon. Sogar Sie müßten das inzwischen kapiert haben, Mister Aufziehvogel!
    Erraten! Ich arbeite in einer Perückenfabrik! Überrascht?
    Ich hab Ihnen schon erzählt, daß ich nach sechs Monaten von diesem Luxushotel/Knast/Internat weg bin und nur zu Haus rumgehangen habe, wie ein Hund mit einem Gipsbein. Und dann ist mir ganz plötzlich die Fabrik der Perückenfirma eingefallen. Ich hab mich an was erinnert, was mir mein Chefin der Firma mal gesagt hatte, nur zum Spaß eigentlich, daß sie nie genug Mädchen für die Fabrik hätten und daß sie mich jederzeit vom Fleck weg anstellen würden, wenn ich mal Lust bekäme, da zu arbeiten. Er hatte mir sogar eine Broschüre von dem Laden gezeigt, und ich weiß noch, daß ich gedacht habe, daß die Fabrik echt cool aussah und ich bestimmt nichts dagegen hätte, da mal zu jobben. Mein Chef sagte, die Mädchen würden alle manuell arbeiten: per Hand Haare in die Toupets knüpfen. Eine Perücke ist in der Herstellung sehr aufwendig, nicht wie so ein Aluminiumtopf, den man einfach eins, zwei, drei zurechtstanzen kann. Um eine Qualitätsperücke herzustellen, muß man feine Bündelchen von echten Haaren ganz, ganz vorsichtig einknüpfen, ein Bündelchen auf einmal. Wird Ihnen nicht schon bei der bloßen Vorstellung ganz anders? Ich meine, was glauben Sie, wie viele Haare ein Mensch auf dem Kopf hat? Das geht in die Hunderttausende! Und um eine Perücke zu machen, muß man die alle per Hand einsetzen, so wie man Schößlinge in ein Reisfeld setzt. Aber keins der Mädchen hier beklagt sich über die Arbeit. Die stört sie nicht, weil wir hier im Schneeland sind, wo es bei den Bauernfrauen schon immer Brauch war, während des langen Winters feine Handarbeiten zu machen, um etwas Geld dazuzuverdienen. Und das soll auch der Grund sein, warum die Firma sich gerade diese Gegend für ihre Fabrik ausgesucht hat.
    Ehrlich gesagt, Handarbeit dieser Art hat mich nie gestört. Ich weiß, daß ich nicht danach aussehe, aber ich kann sogar ganz schön gut nähen. Meine Lehrerinnen waren immer schwer beeindruckt. Das glauben Sie mir nicht? Ist aber die reine Wahrheit! Deswegen ist mir die Idee gekommen, daß es mir Spaß machen könnte, einen Teil meines Lebens als Fabrikmädchen in den Bergen zu verbringen, meine Hände von morgens bis abends beschäftigt zu halten und die ganze Zeit an nichts Beunruhigendes zu denken. Die Schule hing mir zum Hals raus, aber mir graute auch vor der Vorstellung, einfach nur rumzuhängen und mich von meinen Eltern durchfüttern zu lassen (und ich bin sicher, denen graute vor der Vorstellung genauso), aber es gab eben nichts, was wirklich der Traum meiner schlaflosen Nächte gewesen wäre, und je mehr ich darüber nachgedacht hab, desto mehr sah ’s so aus, als würde mir nichts anderes übrigbleiben, als in dieser Fabrik arbeiten zu gehen.
    Ich hab meine Eltern dazu gebracht, daß sie für mich bürgten, und meinen Chef daß er mir einen Empfehlungsbrief geschrieben hat (die waren mit meinen Erhebungsbögen immer sehr zufrieden), ich hab mein Vorstellungsgespräch in der Firmenzentrale erfolgreich hinter mich gebracht, und schon die Woche drauf hatte ich meine sämtlichen Siebensachen gepackt (na ja, mehr als meine Klamotten und meinen Rekorder hab ich auch gar nicht mitgenommen). Ich

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