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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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er mit zackigen, energischen Bewegungen ein Dampfbügeleisen über ein Hemd führte. Ich trat an den Ladentisch und erklärte mit angemessenen Entschuldigungen, ich hätte Ende vergangenen Jahres einen Schlips vorbeigebracht und vergessen, ihn wieder abzuholen. Auf seine halb-zehn-Uhr-morgendlich friedliche kleine Welt muß dies ebenso gewirkt haben wie die Ankunft eines Unglücksboten in einer griechischen Tragödie. »Abholschein haben Sie auch keinen, nehm ich an«, sagte er mit einer seltsam distanzierten Stimme. Er redete nicht mit mir, sondern mit dem Kalender, der über dem Ladentisch an der Wand hing. Das Juni-Foto zeigte die Alpen - ein grünes Tal, weidende Kühe, eine wie gemeißelte weiße Wolke, die auf den Mont Blanc oder das Matterhorn oder sonstwas zutrieb. Dann sah er mich mit einem Gesicht an, das unmißverständlich besagte: Wenn du das verdammte Ding schon vergessen mußtest, hättest du’s gleich ganz vergessen sollen! Es war ein sehr direkter, beredter Blick.
    »Ende des Jahres, hm? Na, is’ ja toll. Über sechs Monate her. Na schön, ich seh mal nach, aber machen Sie sich bloß keine großen Hoffnungen.« Er schaltete sein Bügeleisen aus, stellte es auf dem Bügelbrett ab und fing an, zum Titelsong von Sommer-Insel pfeifend, im Hinterzimmer die Regale zu durchstöbern.
    In meiner Oberschulzeit war ich einmal mit meiner Freundin in Sommer-Insel gewesen. Die Hauptdarsteller waren Troy Donahue und Sandra Dee. Der Film lief in einem Oldie-Kino, im Doppelpack mit Mein Schiff fährt zu dir, mit Connie Francis in der Hauptrolle. Soweit ich mich erinnern konnte, war er ziemlich schlecht gewesen, aber als ich die Musik jetzt, dreizehn Jahre danach, in einer Reinigung hörte, fielen mir aus dieser Zeit ausschließlich schöne Erinnerungen ein.
    »War’s ein blauer gepunkteter Schlips?« fragte der Ladeninhaber. »Auf den Namen Okada?«
    »Genau«, sagte ich.
    »Sie haben Glück.«
     
    Kaum war ich wieder zu Haus, rief ich Kumiko in der Redaktion an. »Der Schlips war noch da«, sagte ich.
    »Kaum zu glauben«, sagte sie. »Schön für dich!«
    Es klang künstlich, wie ein Lob für einen Sohn, der mit guten Noten nach Haus kommt. Das bereitete mir Unbehagen. Ich hätte mit dem Anruf besser bis zu ihrer Mittagspause warten sollen.
    »Mir fällt ein Stein vom Herzen«, sagte sie. »Aber ich hab jemanden auf der anderen Leitung. Tut mir leid. Kannst du mittags noch mal anrufen?«
    »Mach ich«, sagte ich.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, ging ich mit der Morgenzeitung auf die Veranda. Wie immer legte ich mich, die Stellenangebote vor mir ausgebreitet, auf den Bauch und las die von unverständlichen Abkürzungen wimmelnden Spalten in aller Ruhe von oben bis unten durch. Es war absolut unglaublich, wie viele verschiedene Berufe es gab, und jeder von ihnen hatte zwischen den ordentlichen Buchstabenbeeten der Zeitung seinen eigenen Platz, wie auf dem Belegungsplan eines neuen Friedhofs.
    Wie jeden Morgen hörte ich den Aufziehvogel in irgendeinem Baumwipfel seine Feder aufziehen. Ich faltete die Zeitung zusammen, setzte mich auf und betrachtete, an einen Pfosten gelehnt, den Garten. Kurz darauf stieß der Vogel seinen heiseren Schrei noch einmal aus, ein langes schnarrendes Geräusch, das von der Spitze der Kiefer unseres Nachbarn herüberdrang. Ich bemühte mich, zwischen den Zweigen etwas zu erkennen, aber vom Vogel war nichts auszumachen, nur sein Schrei. Wie immer. Und damit war die Welt für einen weiteren Tag aufgezogen. Kurz vor zehn fing es an zu regnen. Nicht stark. Man konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, daß es regnete, so fein waren die Tropfen, aber wenn man die Augen zusammenkniff, sah man es. Die Welt existiert in zwei Zuständen, »Regen« und »Nicht-Regen«, und es sollte eigentlich eine Trennlinie zwischen den beiden geben. Ich blieb noch eine Weile auf der Veranda sitzen und starrte auf die Linie, die es hätte geben sollen.
    Was sollte ich bis zum Mittagessen mit meiner Zeit anfangen? Auf ein paar Bahnen ins nahe öffentliche Schwimmbad gehen, oder auf die Gasse und nach dem Kater suchen? Gegen den Pfosten der Veranda gelehnt, in den Garten starrend, auf den der Regen niederging, schwankte ich zwischen den zwei Möglichkeiten. Schwimmbad. Kater.
    Der Kater siegte. Malta Kano hatte gesagt, der Kater sei nicht mehr in der Nachbarschaft. Aber an diesem Morgen verspürte ich den undefinierbaren Drang, loszuziehen und nach ihm zu suchen. Die Katerjagd war zu einem festen Bestandteil

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