Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
gingen im Haus die Lichter an, so daß es richtig warm und gemütlich aussah, und später gingen die Lichter eins nach dem anderen aus. Das ältere Mädchen bekam Klavierunterricht, das jüngere spielte Violine (das ältere war älter als ich, das jüngere jünger). An Geburtstagen und Weihnachten veranstalteten sie Parties und so, und ein Haufen Freunde kamen, und es war lustig da und immer was los. Wer das Haus erst gesehen hat, als es schon eine leere Ruine war, kann sich gar nicht vorstellen, wie es früher einmal war. An den Wochenenden habe ich immer Herrn Miyawaki gesehen, wie er Bäume stutzte und so - es machte ihm anscheinend Spaß, alle möglichen Arbeiten selbst zu erledigen, Dinge, die Zeit kosten, wie die Regenrinnen säubern oder mit dem Hund Gassi gehen oder das Auto auf Hochglanz bringen. Ich werd nie kapieren, wieso manche Leute Spaß an solchen Sachen haben, die sind doch so was von ätzend, aber die Leute sind wohl verschieden, und ich schätze, in jeder Familie sollte es wenigstens einen von der Sorte geben. Alle in der Familie liefen Ski, und so haben sie jeden Winter ihre Skier aufs Dach dieses Luxusschlittens geschnallt und sind losgefahren und machten alle Gesichter, als stünde ihnen ein wahnsinniges Vergnügen bevor (ich persönlich kann Skilaufen auf den Tod nicht ab, aber egal).
    Wahrscheinlich klingt das jetzt so richtig nach einer typischen, normalen, glücklichen Familie, aber ganz genau das waren sie: eine typische, normale, glückliche Familie. Es war überhaupt nichts an ihnen, wo man hätte die Augenbrauen heben müssen und sagen: » Ja ja, schön und gut, aber was ist zum Beispiel damit? «
    Die Leute in der Nachbarschaft flüsterten immer untereinander: » Also ich würde in so einem verhexten Haus nicht für Geld wohnen wollen « , aber die Miyawakis führten dort ein so friedliches Leben. Das hätte eingerahmtes Bild sein können, ohne ein Staubkörnchen drauf. Sie waren genau die Leute, die in Kitschromanen am Ende » glücklich lebten immerdar « . Zumindest schienen sie zehnmal so glücklich immerdar zu leben wie meine Familie. Und die zwei Mädchen kamen mir immer richtig nett vor, wenn ich sie draußen getroffen habe. Ich hab mir oft gewünscht, ich hätte solche Schwestern wie sie. Die ganze Familie schien ständig am Lachen zu sein - Hund eingeschlossen. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß so was möglich sein würde, daß man eines Tages blinzelt, und alles ist vorbei. Aber ganz genau so war’s. Eines Tages ist mir aufgefallen, daß die ganze Familie - und der deutsche Schäferhund mit - verschwunden war, als hätte sie ein Windstoß gerade eben fortgeweht und hätte nur das Haus stehenlassen. Eine Zeitlang - vielleicht eine Woche lang - merkte keiner in der Nachbarschaft was davon, daß die Miyawakis verschwunden waren. Anfangs kam es mir schon komisch vor, daß abends die Lichter nicht mehr angingen, aber ich hab mir gedacht, daß sie eben wieder mal irgendwohin gefahren sein mußten. Dann hat meine Mutter gehört, wie irgendwelche Leute sagten, die Miyawakis schienen » flüchtig zu sein « . Ich weiß noch, wie ich sie gefragt habe, was das hieß. Heutzutage sagen wir dazu wohl einfach » abgehauen « . Aber wie man’s auch nennen will: Kaum waren die Leute, die bis dahin da gewohnt hatten, verschwunden, hat das Haus ein total anderes Gesicht bekommen. Es war fast unheimlich. Ich hatte noch nie vorher ein leerstehendes Haus gesehen, und so wußte ich auch nicht, wie ein gewöhnliches leerstehendes Haus aussieht, aber ich hatte mir wohl vorgestellt, daß es ein irgendwie trauriges, erledigtes Aussehen haben würde, wie ein verlassener Hund oder die abgeworfene Haut einer Zikade. Aber das Haus der Miyawakis war kein bißchen so. Es sah nicht im mindesten » erledigt « aus. In dem Moment, wo die Miyawakis raus sind, hat es diese Unschuldsengelmiene gekriegt, so à la: » Miyawaki? Nie gehört. « Wenigstens fand ich, daß es so aussah. Wie ein dummer, undankbarer Köter. Kaum waren sie weg, hat es sich in dieses total selbstgenügsame, leerstehende Haus verwandelt, das nicht das allergeringste mehr mit dem glücklichen Leben der Familie Miyawaki am Hut hatte. Das hat mich richtig wütend gemacht! Ich meine, das Haus muß doch genau so glücklich wie der Rest der Familie gewesen sein, solange die Miyawakis da wohnten. Es hat sich bestimmt gefreut, so hübsch geputzt und gepflegt zu werden, und überhaupt hätte es gar nicht erst existiert, wenn Herr Miyawaki

Weitere Kostenlose Bücher