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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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’ Ledermantel, sein Hut und, in einem Lederhalfter, seine Pistole. Die Pistole war keines der üblichen Ungetüme, mit denen das sowjetische Militär ausgerüstet wurde, sondern ein deutsches Fabrikat: eine Walther PPK. Boris hatte sie angeblich einem Oberstleutnant der SS abgenommen, der während der Schlacht bei der Donau-Überquerung gefangen genommen worden war. Am Griff trug sie die SS-Rune, und sie war immer sauber und gut geölt. Ich hatte Boris schon häufig dabei beobachtet, wie er sich an der Pistole zu schaffen machte, und ich wußte, daß er sie immer geladen hielt, mit acht Schuß im Magazin.
    Daß er die Waffe am Hutständer gelassen hatte, war äußerst ungewöhnlich. Er achtete sonst immer darauf, sie, während er arbeitete, griffbereit zu haben, in der rechten Schublade seines Schreibtischs. An jenem Abend aber war er aus irgendeinem Grund sehr gut gelaunt und sehr gesprächig gewesen, und das hatte ihn möglicherweise seine gewohnte Vorsicht vergessen lassen. Es war eine Gelegenheit, wie sich mir kaum eine zweite bieten würde. Immer wieder hatte ich mir in der Vorstellung zurechtgelegt, wie ich die Pistole mit einer Hand entsichern und durchladen würde. Zur Tat entschlossen, stand ich nun auf und ging am Kleiderständer vorbei, als wollte ich mir ein Formblatt holen. In seinen Brief vertieft, sah Boris nicht zu mir herüber. Im Vorbeigehen zog ich die Pistole aus dem Halfter. Die kleinformatige Walther lag mir perfekt in der Hand, kompakt und vollkommen ausbalanciert: ein Meisterstück der Waffentechnik. Ich stellte mich vor Boris und löste die Sicherung. Dann klemmte ich mir die Pistole zwischen die Knie und zog mit der rechten Hand den Verschluß zurück, um die erste Patrone in die Kammer zu befördern. Schließlich spannte ich mit dem Daumen den Hahn. Als er das kurze, trockene Geräusch hörte, hob Boris den Kopf und sah in die Mündung der Waffe, die ich gegen sein Gesicht gerichtet hielt. Er schüttelte den Kopf und seufzte.
    » Pech für Sie, Leutnant, aber die Pistole ist nicht geladen « , sagte er, nachdem er seinen Füller geschlossen hatte. » Sie können es am Gewicht erkennen. Schütteln Sie sie ein bißchen. Acht 7,65-Millimeter-Patronen wiegen achtzig Gramm. « Ich glaubte ihm nicht. Ohne zu zögern, richtete ich die Mündung auf seine Stirn und drückte ab. Das einzige Geräusch war ein Klicken. Er hatte recht: Sie war nicht geladen. Ich legte die Pistole hin und biß mir auf die Lippe, unfähig, einen Gedanken zufassen. Boris öffnete die Schreibtischschublade, zog eine Faustvoll Patronen hervor und hielt sie mir dann in der offenen Hand entgegen. Er hatte mich hereingelegt. Das Ganze war eine Falle gewesen.
    » Ich wußte schon lange, daß Sie mich töten wollten « , sagte er leise. » Sie haben sich vorgestellt, wie Sie es tun würden, es sich immer und immer wieder im Kopf ausgemalt, stimmt’s? Ich könnte schwören, daß ich Ihnen schon vor langem davon abgeraten habe, je Ihre Phantasie zu gebrauchen. Das könnte Sie das Leben kosten. Aber was soll’s. Sie könnten mich ohnehin niemals töten. «
    Boris nahm zwei Patronen von seiner offenen Hand und warf sie mir vor die Füße. Sie schlugen klirrend auf und rollten bis dahin, wo ich stand.
    » Das sind scharfe Patronen « , sagte er. » Es ist keine Falle. Stecken Sie sie in die Pistole und erschießen Sie mich. Eine andere Chance werden Sie nicht bekommen. Wenn Sie mich wirklich töten wollen, zielen Sie sorgfältig Aber wenn Sie mich verfehlen, müssen Sie mir Ihr Wort geben, daß Sie meine Geheimnisse niemals verraten werden. Sie dürfen keinem Menschen auf der Welt erzählen, was ich hier gemacht habe. Das ist unsere kleine Abmachung. «
    Ich nickte ihm zu. Ich gab ihm mein Wort.
    Ich klemmte mir die Pistole wieder zwischen die Knie, löste den Magazinhalter, zog das Magazin heraus und schob die zwei Patronen hinein. Es war keine leichte Aufgabe mit nur einer Hand - und dazu einer Hand, die ununterbrochen zitterte. Boris verfolgte meine Bewegungen mit gelassener Miene. In seinem Gesicht spielte sogar der Anflug eines Lächelns. Sobald ich es geschafft hatte, das Magazin wieder in den Griff zu schieben, zielte ich zwischen seine Augen, zwang meine Hand, nicht mehr zu zittern, und drückte ab. Das Zimmer erbebte vom Lärm der Explosion, aber die Kugel sauste an Boris ’ Ohr vorbei und schlug in die Wand ein. Weißer Putzstaub spritzte in alle Richtungen. Ich hatte ihn aus einer Entfernung von weniger als zwei Metern

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